Im Elternhaus

Cornelia HolewikAm Montag, dem 13. März 1911 um 15.00 Uhr wurde, Sr. Cornelia als 10. Kind der Eheleute Jakob und Anna Holewik, geb. Sternadel, geboren und am 15. März in der Pfarrkirche der heiligen Katharina vom hochwürdigen Herrn Pfarrer Karl Larose auf den schönen Namen Maria Juliana getauft. Ihre Eltern waren einfache Landleute in Pilgramsdorf, Kreis Plesse, und sie wohnten im Haus Nr. 1. Sie waren arm, fleißig und fromm. Zwei der 10 Kinder, ein Brüderchen und ein Schwesterchen Julianes verstarben.

Die Mutter hatte es nicht leicht mit den acht Kindern. Der Vater war in der Domäne beschäftigt. Zum größten Leid der Mutter trank der Vater gern und häufig Alkohol. Aus Angst vor dem betrunkenen Mann mußte die Mutter oft mit den kleinen Kindern irgendwo in einer Scheune oder unter freiem Himmel die Nacht verbringen. Weil sie diese Not alleine nicht mehr ertragen konnte, suchte sie einmal ihre Nachbarin auf, die mit ihrem Manne in ähnlichen Verhältnissen lebte. Mit der kleinen Julia auf ihrem Schoße schüttete sie ihr Herz der Nachbarin aus. Ihr Herzeleid war so groß, daß sie dabei zusammenbrach und plötzlich verstarb. Die heilige Krankenölung konnte ihr nur noch bedingungsweise gespendet werden. Das geschah im Februar 1912. Die kleine Julia war gerade 11 Monate alt. Was sie darüber in ihren Erinnerungen schreibt, weiß sie aus den Erzählungen ihres ältesten Bruders Rudolf. Ihre Tante, die Schwester der verstorbenen Mutter, nahm die kleine Julia zu sich, und der Vater besuchte das Kind jede Woche. Doch schon im September desselben Jahres heiratete der Vater Josefa Cismala, ein 19-jähriges Mädchen. Die neue Mutter verlangte nun, daß Julia wieder ins Elternhaus zurückkehrte. Auch die Tränen und Bitten der guten Tante halfen nichts.

Die zweite Mutter wurde zunächst von den Kindern als wahre Mutter geliebt; doch als sie ihre eigenen Kinder bekam, wurde dies anders. Sie zog ihre eigenen Kinder den Stiefkindern vor. Die kleine Julia wurde streng erzogen. Die zweite und später auch die dritte Mutter beklagten sich oft beim Vater über ihren Eigensinn.

Der Vater war im ersten Weltkrieg. Wenn er auf Urlaub kam, brachte er immer etwas Gutes für die Kinder mit. Doch die Mutter gab alles nur ihren eigenen Kindern. Dies kostete immer ein paar Tränen. Schwester Cornelia schreibt in ihren Erinnerungen: "Ich wußte damals noch nicht, daß die Mutter nicht meine richtige Mutter war, und da habe ich die Zurücksetzung als Strafe für meinen Eigensinn hingenommen ... Von da an bemühte ich mich, von meinem Eigensinn abzulassen, jedoch gelang mir dies nicht auf einmal."

Auch die dritte Mutter beklagte sich oft über die kleine Julia beim Vater. Der Vater hatte eine weiche Natur und bestrafte die Kleine nie. "Wenn er aber betrunken war, da hätte er uns alle erschlagen können," so schreibt Sr. Cornelia. Die Kinder mußten sogar ihre Stiefmutter vor ihm in Schutz nehmen. "Solche Dinge habe ich oft erlebt, die mir bis auf den heutigen Tag in guter Erinnerung sind," so schreibt Sr. Cornelia weiter. "Ich kann deshalb nichts Schönes und auch keine schönen Erlebnisse über meine Kindheit berichten, nur, daß ich stets in der Kirche sein wollte, um von all dem nichts mehr zu hören und zu sehen, was da zu Hause vor sich ging. Sie war für mich der einzige Ort, wo ich mich geborgen fühlte, so daß meine Mutter, wenn ich einmal unartig war, zu mir sagte, ich dürfe niemals mehr in die Kirche gehen. Das sagte sie aber nur, um mich zur Einsicht zu bringen. Sie wußte ja, daß dies für mich die größte Strafe gewesen wäre, da ich sehr gerne betete, und zwar am liebsten in der Kirche."

Mit sechs Jahren besuchte sie die polnische Volksschule. Darüber schreibt sie: "Das Lernen fiel mir schwer, nur die Religionsstunden waren meine größte Freude, da ich dabei an Gott und den Himmel denken konnte. Ich wunderte mich in den ersten Schuljahren nur über das eine, nämlich, daß der Lehrer nicht den ganzen Tag vom lieben Gott erzählte, denn ich dachte oft: 'Nur das ist, was ich erlernen könnte, nämlich den lieben Gott zu erkennen!' Deshalb war mir auch der Religionsunterricht der liebste."

Inzwischen wurde die zweite Mutter krank und mußte von der Großmutter gepflegt werden. Der Vater war im ersten Weltkrieg. Der Gesundheitszustand der Mutter war schlecht. Es handelte sich wahrscheinlich um eine "Spanische Grippe die nach dem ersten Weltkrieg viele Menschen das Leben kostete. Im Hause der Eheleute Holewik lag die Mutter im Sterben. Schwester Cornelia schreibt darüber folgendes: "Die Großmutter, die die Mutter gepflegt hatte – es war die Mutter der zweiten Mutter – sagte eines Tages zu uns Kindern, daß wir beten und artig sein sollten, damit die Mutter wieder gesund würde.

Wir schliefen in derselben Stube, in der die Mutter krank darniederlag. Einige Tage danach weckte uns die Großmutter in der Nacht und sagte zu uns: "Kinder, steht auf, wir schlafen heute in der Küche, die Mutter ist sehr schwer krank und braucht Ruhe." Das sagte sie, um uns Kinder in der Nacht nicht so aufzuregen, denn die Mutter war bereits gestorben. Sie bereitete uns in der Küche auf dem Fußboden ein Lager und legte sich dann zu uns schlafen.

Als siebenjähriges Mädchen konnte ich jedoch nicht begreifen, warum die Großmutter die schwerkranke Mutter alleine ließ. Der Vater war ja im Krieg. So konnte ich lange Zeit nicht einschlafen, weil mich die Frage quälte, wie die Großmutter das übers Herz bringen konnte, wo es der Mutter so schlecht ging. Ich dachte stets daran, daß niemand die Mutter hören konnte, wenn sie Hilfe brauchte. So blieb ich aus Liebe zu ihr wach, weil ich nicht den Mut hatte, die Großmutter zu bitten, bei der kranken Mutter zu bleiben. Ich wußte doch nicht, daß die Mutter bereits gestorben war. Irgendwann schlief ich doch vor Übermüdung ein. Jedoch wachte ich nach kurzer Zeit wieder auf. Da sah ich die Mutter zu meinen Füßen knien und beten. Ich habe sie sogleich erkannt, obwohl sie anders aussah als früher. Das Gesicht war genau wie sonst, nur schaute sie mit viel freundlicheren Augen auf mich, und auch das Kleid war anders. Sie war ganz in Weiß gekleidet, und selbst ihr Kopf war mit einem weißen Tuch bedeckt, welches über ihre Schultern fiel und bis auf die Erde reichte.

Ich wunderte mich über ihr Aussehen und über das schöne Händefalten, denn niemals habe ich sie so beten und so gekleidet gesehen. Die Großmutter schlief noch und ebenfalls meine Geschwister. Doch ich weckte die Großmutter und sagte zu ihr: "Schau Großmutter, du hast gesagt, daß die Mutter sehr krank sei. Sie ist aber hier, vielleicht will sie etwas von dir haben." Die Großmutter setzte sich auf und schaute sich um, denn die Küche war vom Mondschein erhellt. Sie sagte zu mir: "Schlaf, Kind, die Mutter ist doch nicht hier!" Ich sah die Mutter aber immer noch bei mir und wunderte mich, daß die Großmutter sie nicht sah. Doch hatte ich nicht den Mut, die Mutter zu fragen, was sie will, da ich aufgrund ihrer fremden Kleidung zweifelte, ob sie es auch wirklich sei. Ich sagte nun wieder zur Großmutter: "Siehst du nicht die Mutter zu meinen Füßen knien und beten?" Die Großmutter setzte sich nun wieder auf und sagte zu mir: "Kind, du träumst, schlaf nur, denn die Mutter braucht Ruhe." Als ich nach einiger Zeit wieder aufwachte, sah ich nichts mehr. Am folgenden Morgen sagte uns die Großmutter dann, daß die Mutter nachts gestorben war. Furchtbar war für mich der Gedanke, daß ich nun keine Mutter mehr hatte; denn ich konnte es ja noch nicht richtig verstehen, daß sie meine Stiefmutter war.

Nun waren wir wieder Waisen geworden, ebenso wie die noch hinzugekommenen drei kleineren Geschwister. Bei der Geburt des vierten Kindes starben Mutter und Kind. So wurde mir erzählt, weil ich mich wunderte, daß die Mutter ein kleines Kind mit im Sarg hatte.

Es wiederholte sich nun fast jede Nacht, daß meine Mutter bei mir kniete und betete. Dies ging wochenlang so. Weil ich wußte, daß die Mutter ja längst begraben war, fürchtete ich mich sehr und weckte jede Nacht meine Schwester auf, mit der ich das Zimmer teilte. Sie sollte schauen, daß die Mutter wieder da war. Doch meine Schwester glaubte mir nicht und auch sonst niemand, mit dem ich darüber sprach.

Es war mir oft unheimlich zumute, da ich die verstorbene Mutter nächtelang bei mir sah und mir dies niemand glaubte. Hätte ich sie so gesehen, wie sie im Leben ausgeschaut hat, so hätte ich selber geglaubt, daß diese Erscheinungen Einbildungen sind. Doch sie war ganz anders gekleidet als zu ihren Lebzeiten, und sie schaute mich so freundlich an, wie sie es in ihrem Leben nie getan hatte. Eines Tages aber faßte ich Mut und griff nach der Gestalt, um zu sehen, was sie dazu sagen würde. Doch zu meinem Schreck griff ich ins Leere.

Die Mutter aber blieb ganz ruhig in ihrer Haltung und sagte gar nichts. Ich hätte sie gerne gefragt, was sie wollte, doch mir fehlte der Mut dazu, weil ich mich als siebenjähriges Kind sehr vor ihr fürchtete. Doch dann kam die Zeit, wo ich sie niemals mehr sah. Sehr oft aber mußte ich noch an sie denken. Auch später, als ich schon älter war und mich mit dem Gedanken trug, ins Kloster einzutreten, dachte ich an die Mutter. Ob sie es nicht war, die für mich um die Gnade der Berufung gebetet hatte?"

Diese mystischen Erlebnisse des Kindes lassen vermuten, daß es ein von Gott besonders begnadetes Kind war. Die verstorbene Stiefmutter, die so ungerecht und lieblos dem Kind gegenüber gewesen war, kam jetzt zu ihm und leistete schweigend mit liebevollem Blick dem Kind Abbitte.

Im Jahre 1919 heiratete Jakob Holewik zum dritten Mal, und zwar die Schwester seiner verstorbenen zweiten Frau, Katharina Czimala, welche gerade 20 Jahre alt war. Obwohl der älteste Bruder von Schwester Cornelia 3 Jahre älter war als die dritte Mutter, sprach er sie stets mit "Mutter" an und gab so allen Geschwistern das beste Beispiel. Die kleine Julia hatte wieder eine Mutter. Keine Stiefmutter, wie sie glaubte, sondern eine Mutter, die der liebe Gott für die Waisenkinder bestimmt hatte. Doch schon nach kurzer Zeit hatte sie Zweifel, ob diese Mutter wirklich eine Mutter oder nur eine Stiefmutter war. Sie war der kleinen Julia von Anfang an nicht gut gesinnt und bestrafte das Kind sehr streng. Schwester Cornelia schreibt in ihren Erinnerungen: "Sie wollte mich sogar damit bestrafen, daß ich am Sonntag nicht zur Heiligen Messe gehen sollte, weil sie gemerkt hatte, daß ich sehr gerne in die Kirche ging, um zu beten. Mein Bruder beobachtete dies sehr genau."

Der zweitälteste Bruder Anton liebte sein Schwesterchen sehr und kümmerte sich auch um sie. Die Mutter sah dies nicht gerne, und so wurde die Kleine in der Familie zum Stein des Anstoßes. Sie beklagte sich aber nie, wenn die Mutter sie bestrafte, obwohl ihr der Bruder befohlen hatte, ihm alles zu sagen, was die Mutter ihr angetan hatte.

Eines Tages kam es zu einem scharfen Konflikt zwischen der Mutter und ihrem Bruder Anton. In der Woche war er aus beruflichen Gründen unterwegs und kam grundsätzlich nur sonntags nach Hause. Die Ursache der Auseinandersetzung war wieder einmal die kleine Julia. Die Mutter hatte ihr befohlen, die Gänse zu hüten. Doch beim Spiel hatte sie auf die Gänse vergessen.

Diese sind ins Kraut gegangen und haben dort geringen Schaden angerichtet. Die Stiefmutter schlug daraufhin das Kind so unbarmherzig, daß der ganze Körper blutunterlaufene Striemen aufwies; zu allem Unglück war auch ein solcher Striemen im Gesicht. Die Kleine dachte dabei: "Das waren nicht die Schläge einer Mutter, sondern die einer Stiefmutter."

Am Sonntag kam Anton nach Hause, und obwohl sich Julia bemühte, ihm aus dem Weg zu gehen, bemerkte er doch den blutigen Striemen in ihrem Gesicht. Da kam es zur Auseinandersetzung zwischen ihm und der Mutter, die ihm dann befahl, die kleine Julia zu sich zu nehmen. Zu Julia sagte sie, daß sie nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle. "Das war für mich schrecklich!" schreibt Sr. Cornelia. "Seit dieser Zeit gab es für mich keine frohe Stunde mehr im Elternhaus."

Am schwersten und unerträglichsten war es für mich, als ich neunjährig die Mutter bat, in den Beichtunterricht gehen zu dürfen und nicht ihre Erlaubnis bekam. Ich erhielt lediglich die kalte Antwort: "Es geht mich nichts an, ob du katholisch erzogen oder unterrichtet wirst, dein Bruder Anton ist dir ja Mutter, so soll er sich darum kümmern. Mich geht das nichts an." Diese Worte der Mutter verwundeten mein Kinderherz wie mit Messerstichen, und doch dachte ich nichts Böses im Herzen über die Mutter. Ich weinte nur bitterlich über ihre Worte, da ich fürchtete, nicht einmal mehr am Beicht- oder Kommunionunterricht teilnehmen zu dürfen, weil mir die Erlaubnis dazu verweigert wurde.

Meine Mitschülerinnen gingen schon alle in den Beichtunterricht, nur ich durfte nicht. Das war mir unerträglich schwer, und zwar so, daß sich heute noch meine Augen mit Tränen füllen, wenn ich daran denke.

Mein Bruder Anton aber lebte mit meinen Eltern im Streit. Er kam jetzt nicht einmal mehr sonntags nach Hause. Das zermarterte mein Kinderherz, denn ich wußte ja, daß dies meinetwegen so gekommen war. Doch es tröstete mich, daß ich mich niemals bei meinem Bruder über die Mutter beklagt hatte und auch niemals die geringste Abneigung gegen sie im Herzen verspürte. Ich liebte die dritte Mutter trotz allem von ganzem Herzen und hatte eine viel größere Zuneigung zu ihr als zu meinem Bruder Anton. Ich schenkte ihr meine ganze Liebe, da ich ja sonst keine Mutter mehr hatte, der ich meine Liebe schenken konnte. Dies kann ich heute noch mit aufrichtigem Herzen sagen. Ich liebte meine dritte Mutter so, wie nur ein Kind eine Mutter lieben kann"

In unserer Pfarrgemeinde war es Sitte, daß die Kinder drei Winter lang zum Pfarrer in den Religionsunterricht gehen mußten, bevor sie zur ersten heiligen Kommunion zugelassen wurden. Ich zählte nun schon 10 Jahre und hatte noch nicht einmal mit diesem Unterricht begonnen. Mit bangem Herzen dachte ich an die Zukunft.

Doch der liebe Gott verließ mich nicht, denn inzwischen beruhigte sich auch die Mutter, und so sagte sie eines Tages zu mir, daß ich in diesem Winter zum Beichtunterricht gehen dürfe. Doch ich verspürte nicht viel Liebe von ihrer Seite. Um so mehr bemühte ich mich, sie zu lieben, und hing mit allen Fasern meines Herzens an ihr. Meine treue Anhänglichkeit an die Mutter bezeugte ich bei verschiedenen Gelegenheiten, weil ich sie als die mir vom lieben Gott gegebene Mutter betrachtete. Nur eine Begebenheit möchte ich hier erzählen.

Eines Tages durfte ich meine Tante besuchen. Die Tante war eine Verwandte väterlicherseits. Zu den Verwandten seitens meiner ersten verstorbenen Mutter durften wir überhaupt nicht gehen, da die Mutter fürchtete, daß diese Verwandten uns Kinder gegen sie aufhetzen würde. Daher durften wir nur zu den Verwandten väterlicherseits gehen, denn ihnen traute die Mutter nichts Böses zu, und so besuchte ich eines Tages meine Tante. Ich freute mich sehr, da ich an das schöne, gute Obst im Garten dachte. Meine Cousine hatte mir versprochen, daß sie mir etwas von dem guten Obst mitgeben wollten, wenn ich zu ihnen käme. So lief ich mit großer Freude zur Tante. Als ich dort ankam, war die erste Frage, die man mir stellte, ob die Mutter zu uns, den ersten Kindern, auch gut sei. Ich bejahte diese Frage, indem ich sagte, daß sie die beste aller Mütter auf der Welt sei. Daraufhin nahm mich meine Cousine mit in den Garten und pflückte das schönste Obst ab und füllte mir die Schürze so voll, daß ich sie kaum tragen konnte. Ich dachte mir dabei: "da wird sich aber die Mutter freuen, wenn ich ihr solch schönes Obst bringe", und schon wollte ich losziehen.

Beim Abschied aber sagte meine Cousine zu mir: "Das alles, was ich dir gegeben habe, gehört dir allein. Daß du ja niemandem etwas gibst! Es gehört Dir allein!"

Ich dachte sofort an die Mutter und sagte zu meiner Cousine: "Wenn du willst, daß ich das, was ich in der Schürze habe, alleine essen soll, so gib mir noch etwas für die Mutter." Mit großer Bestürzung hörte ich ihre Antwort: "Was? Du willst noch etwas für "die" haben? Sie ist doch gar nicht deine Mutter, deine Mutter liegt auf dem Friedhof, die jetzige ist nur deine Stiefmutter, und für die gebe ich nichts!" Wie ein Dolchstich trafen diese Worte in mein Herz. Ich fing bei diesen Worten furchtbar an zu weinen, warf ihr das mir geschenkte Obst vor die Füße und lief schleunigst davon. Doch ich konnte nicht aufhören zu weinen, und wer mich unterwegs traf und mich nach der Ursache meiner Tränen fragte, dem konnte ich nicht antworten. Ein Gedanke ließ mich nicht los: "Der liebe Gott hat mir die dritte Mutter gegeben, und die Leute sagen, sie sei nur meine Stiefmutter!" Ich begriff damals nicht, wie sie so etwas sagen konnten über das, was der liebe Gott so bestimmt hatte. Immer empfand ich herzzerreißenden Schmerz, wenn ich erfuhr, wie sich die Menschen dem Willen Gottes widersetzten und auch andere dazu verleiteten.

Als ich nun nach Hause kam, wollte ich nicht der Mutter unter die Augen kommen, da ich sehr verweint war. Ich fürchtete, daß die Mutter mich fragen würde, warum ich geweint hätte. Ich mochte ihr doch nicht die Wahrheit sagen. Und ihr ins Gesicht lügen konnte ich erst recht nicht. Aus diesem Grunde ging ich nicht ins Haus, sondern setzte mich in den Schatten einer Sandgrube. Dort fühlte ich mich sicher verborgen, da ich von niemandem gesehen werden konnte. Doch noch immer konnte ich mich nicht beruhigen, und die Tränen flossen ständig, bis ich müde und vom Schlaf übermannt wurde. Dort in der Sandgrube schlief ich nun ein. Als ich erwachte, war der Tag schon fortgeschritten, und die Abenddämmerung brach herein. Die Nebel stiegen schon aus den Gewässern, die unser Haus umgaben. Ich stand auf und ging auf unser Haus zu. Da sah mich nun die Mutter kommen. Sie empfing mich sehr zornig und tadelte mich wegen meines langen Ausbleibens. Ich entschuldigte mich dafür, daß ich in der Sandgrube eingeschlafen war und nicht früher aufgewacht sei. Es genügte der Mutter nicht, mich zu tadeln, sondern sie nahm einen Stock und schlug mich sehr. Mein Herz blutete noch vor Wehmut über das, was mir die Cousine gesagt hatte und doch brachte ich es nicht übers Herz, mich damit zu rechtfertigen. Ich dachte nur bei mir mit wehem Herzen: "O Mutter, wenn du wüßtest, warum ich so lange ausblieb, du würdest mich gewiß nicht so unbarmherzig schlagen!" Doch ich sagte kein Wort von alldem. Es war mir genug, daß der liebe Gott allein alles wußte. Der liebe Gott ließ es zu, daß meine dritte Mutter mich überall zurücksetzte und daß sie mich dies stets fühlen ließ. So war es schon von Ewigkeit für mich bestimmt, den Leidensweg zu gehen.

Die kleine Julia liebte ihre dritte Mutter trotz ihrer Strenge und Unbarmherzigkeit aus ganzem Herzen. Sie hat nie einen Bonbon ohne die Mutter gegessen, alles wollte sie mit der Mutter teilen. Man kann hier von einer außergewöhnlichen Liebe eines Kindes zu den Eltern sprechen. Der Grund dafür war immer der gleiche – Gott hat die Mutter geschickt, und was von Gott kommt, muß man annehmen und damit zufrieden sein. Julia war von Natur aus ein schwaches Kind, aber die Mutter schonte sie nicht. Wenn die anderen Kinder mit der Mutter bei der Feldarbeit waren, mußte Julia den Haushalt führen oder auch selbst bei der schweren Feldarbeit aushelfen. Was ihr aber am meisten wehtat, war die Tatsache, daß ihr Bruder Anton in Unfrieden mit den Eltern lebte und nicht nach Hause kam. Schwester Cornelia schreibt darüber: "Das zermarterte meine Seele, denn ich wußte, daß alles nur wegen mir war."

Das Weihnachtsfest war nahe, und Julia freute sich schon sehr auf das Christkind. Ihre Freude aber wurde von Schmerzen begleitet, als ob sie ahnte, was auf sie zukommen würde. Vor Weihnachten – so schreibt Sr. Cornelia weiter – kam mein Bruder Anton mit einem seiner Kollegen nach Hause, um mich zu sich zu holen. Als mir dies die Mutter sagte, weinte ich bitterlich und sagte zu ihr: "Ich fahre nicht mit meinem Bruder!"

So wurde ich meinen Eltern gegenüber ungehorsam und verlor dabei die große Liebe meines Bruders zu mir, denn seit dieser Zeit kümmerte er sich nicht mehr um mich. Doch von nun an hatte ich auch nicht mehr so viel unter meiner dritten Mutter zu leiden.

"Nun kam das Weihnachtsfest, und das liebe Christkind brachte mir das Schönste und Beste, nämlich den Herzensfrieden, denn mein Bruder versöhnte sich wieder mit den Eltern, und das war genug, mehr ersehnte ich nicht. Die Mutter versprach mir außerdem, daß ich in die Christmette gehen dürfte. Das machte mich überaus froh und glücklich."

In der Nacht vor der Christmette konnte die kleine Julia vor Freude nicht schlafen. Die Nacht wurde ihr zur Ewigkeit. Es war mondhell, und sie schaute unentwegt auf die Uhr. Doch die Stunden vergingen ihr zu langsam, und sie überlegte, ob sie nicht die Uhr um eine Stunde vorstellen sollte. Gedacht, getan! Sie nahm einen Schürhaken vom Ofen und schob die Uhr damit um eine Stunde vor. Die Christmette begann um 5 Uhr. Um 4 Uhr mußte sie mit ihrer Schwester aufstehen. "Wir gingen nun zur Kirche. Der Himmel war übersät mit leuchtenden Sternen, und nur das Knirschen des Schnees unter den Füßen war zu hören. Es war eine herrliche Nacht. Allerdings wunderte sich meine Schwester, daß noch in keinem Hause Licht brannte und noch niemand auf dem Weg zur Kirche war, und sie fragte mich: "Haben die Leute alle verschlafen, oder haben wir uns mit der Zeit vertan?" Ich meinte aber, daß es nach unserer Uhr schon Zeit war zu gehen. Ob wir damals noch zurückgingen, weiß ich heute nicht mehr, daran erinnere ich mich nicht mehr.

Es vergingen nun wieder einige Jahre. Eines Tages kam eine Nachbarin zu uns und äußerte den Wunsch, von uns ein Kind haben zu wollen, weil meine Eltern doch so viele Kinder hätten, sie aber niemanden zum Kühehüten. Die Mutter forderte sie auf, sich ein Kind von uns auszusuchen. Die Wahl fiel auf mich. Die Nachbarin wollte mich gleich mitnehmen, ich aber bat darum, meinen 13. Geburtstag noch zu Hause verbringen zu dürfen. Dies wurde ihr gewährt. Am 13. März 1924 beging sie ihren 13. Geburtstag.

 

Der Kampf um den heiligen Beruf

Mit Beginn ihres 14. Lebensjahres, am 15. März 1924, verließ Julia ihr Elternhaus, was ihr sehr schwer fiel, da sie an den 5 kleineren Geschwistern, die sie zurücklassen mußte, sehr hing, und auch die Kleinen liebten sie sehr. Es tröstete sie die Tatsache, daß der Weg vom Nachbarn bis zum Elternhaus nur kurz war, so daß sie immer schnell einmal nach Hause laufen konnte.

In diesem Jahr waren auch die drei Winter abgelaufen, in denen Julia am Beicht- und Erstkommunionunterricht teilgenommen hatte. Herr Pfarrer Larose reihte sie nun zu den Erstkommunikanten ein. Obwohl Julia erst zwei Monate bei der Nachbarin war, kümmerte diese sich um Julia wie um ihr eigenes Kind. Sie besorgte ihr alles, was sie für diesen großen Tag benötigte, selbst das Kleid und die Schuhe. Am Vorabend ihrer ersten heiligen Kommunion, am 9. Mai, bat sie die Eltern um Verzeihung und um ihren Segen. Der Vater weinte bitterlich, als er sein Kind vor sich knien sah, die Mutter war eher gleichgültig.

Am 10. Mai 1924 war der schönste Tag ihres Lebens, und sie bat den Heiland recht innig, einst als seine Braut ins Kloster eintreten zu dürfen. An diesem Tag wurde sie auch als Aspirantin in die Marianische Kongregation aufgenommen. Es war für sie wahrhaftig der schönste und glückseligste Tag.

Als Julia 15 Jahre alt war, teilte sie ihren Eltern mit, daß sie beabsichtigte, ins Kloster zu gehen. Die Mutter sagte zu ihr: "Kind, wo soll ich die Mittel hernehmen, um dir die nötige Aussteuer zu besorgen?" Auch der Vater wollte davon nichts wissen. Julia versuchte, die Eltern zu trösten, indem sie ihnen sagte, daß sie nichts benötige. Es genüge der wahre Beruf und die Einwilligung der Eltern. Daraufhin erwiderte ihr die Mutter: "Wenn Du ins Kloster gehen willst, so gehe, doch von uns kannst Du nichts erwarten!" Die Mutter erzählte auch den älteren Töchtern von Julias Wunsch. Von da an aber mußte Julia hart um ihren Beruf kämpfen. Die Mutter nahm sie von der Nachbarin weg, weil sie der Meinung war, daß ihre Tochter von ihr beeinflußt worden sei, was den Entschluß ihres Klostereintritts betraf.

Julia mußte nun als Dienstmädchen bei einer evangelischen Familie arbeiten. – Beim Betreten dieses Hauses, – so schreibt sie in ihren Erinnerungen, – dachte ich: "Hier bleibe ich um keinen Preis in der Welt", zumal ich außerdem gezwungen wurde, am Freitag Fleisch zu essen. Als katholisches Mädchen konnte sie dies vor ihrem Gewissen nicht verantworten. Lieber hätte sie den ganzen Freitag nichts gegessen. Die Mutter aber tröstete sie, daß sie nicht sündigen würde, denn sie müsse ja essen, was ihr vorgesetzt würde. Julia aber gab ihr zur Antwort, daß sie dort nicht bleiben könne.

Sie ging zur Nachbarin und sprach über ihre Sorgen. Diese freute sich über ihren Besuch und bot ihr an, wieder zurückzukommen, was sie bereits am nächsten Tag tat. Sie schreibt darüber: Ich wurde mit großer Liebe aufgenommen, und so führte ich einige Monate ein ruhiges und schönes Leben. Im Elternhaus aber waren alle unzufrieden mir ihr, und ihre älteren Schwestern ärgerten sich über ihr Verhalten. Sie bemühten sich, sie von ihrer Absicht, ins Kloster einzutreten, abzubringen.

Von einer ihrer Schwestern lernte sie tanzen. Diese wollte sie zu jedem Vergnügen mitnehmen. Julia aber blieb ihrer Sehnsucht treu. Sie durfte jedoch nur ein Jahr bei der Nachbarin bleiben, dann hatte eine ihrer Schwestern eine neue Arbeitsstelle für sie gefunden. Und wieder war es eine reiche evangelische Familie. Der Bäuerin wurde gesagt, daß Julia ins Kloster gehen wolle. Die evangelische Frau meinte, daß sie ja zu den Diakonissen gehen könne. Sie war bereit, ihr alles zu geben, was zur Ausbildung solcher Schwestern benötigt wurde. Sie brauchte bei den Diakonissen ja auch nicht ihr ganzes Leben zu bleiben, sie könnte auch heiraten. Die Frau war sogar bereit, sie als ausgebildete Schwester ihrem Sohn zur Frau zu geben. Diese Aussichten waren natürlich für ihre Geschwister und auch für die Eltern, besonders für die Mutter, Musik in den Ohren. Sr. Cornelia schreibt darüber folgendes: "Eure Pläne und Hoffnungen werden alle in Staub zerfallen, denn das wird der liebe Gott niemals zulassen; lieber gehe ich als Bettlerin durchs Leben als in ein evangelisches Kloster einzutreten und dann auch noch zu heiraten."

Nach einem Jahr Dienst bei der Nachbarsfrau mußte sie ihre Arbeitsstelle bei der evangelischen Familie antreten. Sie wurde sehr freundlich aufgenommen und ebenso gut behandelt. Doch sie wurde den Gedanken nicht los, daß dies nur eine Schlinge des Teufels war, damit sie sich bei dieser Familie recht wohlfühle. Sie war mit allem zufrieden, doch der Feind der Seele zeigte schon bald seinen Haß. Das neue Mädchen wurde wegen ihres Morgen- und Abendgebetes von der Familie ausgelacht. Dies konnte Julia nicht ertragen, und schon nach einer Woche packte sie ihre Sachen und verließ das Haus.

Nun war guter Rat teuer. Wohin sollte sie sich wenden? Sie entschied sich, wieder zu der Nachbarin zu gehen, die sie wie eine gute Mutter aufnahm. – Ich war nun wieder glücklich, – schreibt Sr. Cornelia, doch ihre Eltern und Geschwister betrachteten es als Schande, daß sie nicht bei der reichen evangelischen Familie geblieben ist. Sie versuchten mit allen Mitteln Julia von Ihrem Entschluß, ins Kloster einzutreten, abzubringen. Doch sie blieb treu. Als ihre Eltern und Geschwister merkten, daß sie nichts ausrichteten, begannen sie nun der Nachbarin, die sie immer mit großer Freundlichkeit und Liebe behandelt hatte, Schwierigkeiten zu machen. Es kam so weit, daß die arme Frau Julia sagte, daß sie sich um eine andere Arbeitsstelle bemühen möge. "Wohin soll ich denn gehen?" fragte sie. Doch der liebe Gott verläßt die Seinen nicht! Die verheiratete Tochter der Nachbarin half ihr, eine Arbeitsstelle zu finden. Sie mußte aber nun ihr Heimatdorf verlassen, um im dritten Nachbardorf eine Stelle anzutreten. Sie schreibt darüber in ihren Erinnerungen: "Es fiel mir sehr schwer, doch ich dachte mir, daß ich ja lernen muß, Opfer zu bringen, wenn ich ins Kloster gehen will."

Sie arbeitete nun als Dienstmagd bei einem katholischen Bauern. Dort wäre sie auch geblieben, wenn sie nicht von der Frau eines Großbauern abgeworben worden wäre. Nach einem Jahr ging sie dann zu diesem Großbauern, bei dem sie bis zu ihrem Klostereintritt blieb.

Der Großbauer hatte acht Kinder. Zwei davon gingen schon zur Schule, die anderen waren kleiner. Als die Bäuerin erkannte, daß Julia sehr kinderlieb war, überließ sie ihr die Erziehung ihrer Kinder. Julia betete mit ihnen täglich das Morgen- und Abendgebet. Dies gefiel der Bäuerin besonders. Sie wurde auch besser bezahlt als zuvor und konnte so ihre Aussteuer fürs Kloster zusammensparen. Doch auch hier mußte sie um ihren heiligen Beruf kämpfen. Alle waren mit ihr zufrieden, und oft mußte sie hören: "Gott hat ihr die Mutterliebe ins Herz gelegt, damit sie eine gute Mutter würde." Sie begann zu zweifeln, ob sie wirklich zum Ordensstand berufen war. Sie stand damals kurz vor der heiligen Firmung, und so flehte sie zum Heiligen Geist um Erkenntnis. Nach dem Empfang der heiligen Firmung war sie sicher, daß Gott sie für den Ordensstand und nicht für ein Leben in der Welt berufen hatte. Sie wurde auf den Namen "Barbara" gefirmt.

Auch hatte sie starke Versuchungen auf dem Gebiet der heiligen Reinheit. Sie hatte hier sehr zu kämpfen, doch auch hier trug sie den Sieg davon. Es war ihr sehr peinlich , darüber zu schreiben. Sie tat dies zwar im Gehorsam, doch zerriß sie das letzte Blatt ihrer Erinnerungen wieder.

Die Schilderung über ihren Klostereintritt beginnt sie mit den Worten: "Seit meinem dreizehnten Lebensjahr war ich im Dienst. Als ich 15 Jahre alt war, kam meine Schwester mit einem unehelichen Kind heim. Dies war damals eine große Schande. Für mich aber war es eine Gnadenstunde, denn durch diese Begebenheit festigte sich mein Wunsch, ins Kloster zu gehen. Auch dachte ich damals sehr oft an den Tod und meinte, daß ich nur im Kloster gut sterben könnte. Mein Vater sagte oft zu mir: "Du wirst einmal genau so sein, wie deine Schwester Albina!" Diese Worte des Vaters erschütterten mich zutiefst, so daß ich sogar gegen den Ehestand Ekel empfand."

In ihren Erinnerungen erzählt Sr. Cornelia, was ihr im Jahre 1931 passierte. An einem Samstagabend wollte sie von ihrer Arbeitsstelle in Pawlowitz zu ihren Eltern nach Pilgramsdorf gehen. Als sie in der Mitte des Dorfes war, hielt ein schwarzes Auto neben ihr.

Zwei junge Männer stiegen aus und fragten sie, wohin ihr Weg sie führe. Sie antwortete, daß sie einige Besorgungen machen wollte. Sie wollte nämlich ihren kleineren Geschwistern eine Kleinigkeit mitbringen. Die Männer boten ihr an, sie dorthin zu fahren, wohin sie wolle. Doch sie lehnte ab. Da zeigten die Männer ihr wahres Gesicht. Sie packten das Mädchen und versuchten, es mit Gewalt ins Auto zu zerren. In ihrer Not schrie Julia laut um Hilfe. Ihr Hilferuf wurde von Arbeitern der nahe gelegenen Molkerei gehört. Diese liefen hinzu und befreiten das Mädchen. Die beiden Männer aber hatten es nun sehr eilig fortzukommen. Geistesgegenwärtig aber schrieb einer von den Arbeitern die Autonummer auf. Die Polizei wurde sofort informiert, damit diese die Verfolgung des Autos aufnehmen konnte. Doch erst in Kattowitz gelang dies. In dem Auto aber wurde ein totes Mädchen gefunden. Die Männer wurden verhaftet. Sr. Cornelia aber dankte von ganzem Herzen Gott, dem Herrn, daß er sie beschützt hatte.

Beim Großbauern in Pawlowitz bekam sie in der ersten Zeit keinen Lohn, um ihn dann auf einmal ausbezahlt zu bekommen. Als sie dann ihre Aussteuer benötigte, ging die Bäuerin selbst mit, um diese Einkäufe zu tätigen. Die ledige Schwester der Bäuerin nähte die Wäsche und bestickte sie aufs schönste. Als Julia 20 Jahre alt war, hatte sie die notwendige Aussteuer beisammen. Von ihren eigenen Geschwistern half ihr nur ihr Bruder Emil. Er sagte oft zu ihr: "Da hast du Geld und schau, daß du sobald wie möglich ins Kloster gehst, denn die anderen Geschwister sind sehr dagegen!"

Sie überlegte, ob sie nach Deutschland gehen sollte, damit sie von ihren Verwandten nicht belästigt würde. Doch sie besaß keinen Reisepaß, und es war auch keine Möglichkeit, einen solchen zu bekommen. So entschloß sie sich, zu den Borromäerinnen in die Tschechoslowakei zu gehen und zwar nach Olbersdorf bei Jägerndorf. Doch auch dort stand sie vor einem großen Hindernis. Sie war zwar schon 20 Jahre alt, doch nach damaligem Gesetz noch nicht volljährig. Um in die Tschechoslowakei zu reisen, benötigte sie die Unterschrift der Eltern. Die Mutter wollte ihr diese Unterschrift nicht ohne den Vater geben, und der Vater wollte davon nichts wissen. In ihrer Not überlistete sie ihren Vater. Sie kaufte ihm einen halben Liter Korn und als er betrunken war, erzählte sie ihm vom Klosterleben.

Der Vater, der im betrunkenen Zustand immer fromm war, wurde durch die Rede der Tochter für das Klosterleben begeistert und gab ihr die notwendige Einwilligung. Am nächsten Tag wußte er nichts mehr davon. Julia aber hatte erreicht, was sie bezweckt hatte. Sie fuhr in die Stadt Pless und beantragte ihre Reise. Bis zu ihrer Reise in die Tschechoslowakei mußte sie allerdings noch vier Monate warten.

Die Bäuerin, bei der sie im Dienst war, sagte zu ihr: "Du darfst nicht eher ins Kloster gehen, bis du mir ein solches Mädchen für meine Kinder besorgt hast, wie du eins bist!" Julia bemühte sich, den Wunsch der Bäuerin zu erfüllen, doch es gelang ihr nicht. Ihre jüngere Schwester übernahm solange ihre Stelle, bis die Bäuerin ein anderes Mädchen fand. Bei der Suche eines solchen Mädchens aber gewann sie durch ihr Beispiel noch drei Mädchen fürs Kloster. Einen Monat vor dem Klostereintritt entschloß sich noch ein weiteres Mädchen zu diesem Schritt. Alle fünf gingen nun, um ihr Geld zu sparen, sieben Stunden zu Fuß nach Pless, um die Ausreisebewilligung abzuholen.

 

Im Kloster

Am 29. Januar 1932 traten die fünf Mädchen aus Pilgramsdorf in das Kloster der Borromäerinnen in Olbersdorf bei Jägerndorf/CSSR ein. Der Abschied vom Elternhaus war Schwester Cornelia schwer gefallen. Die kleinen Geschwister hingen sehr an ihr, und auch sie liebte sie sehr. In ihren Erinnerungen schrieb sie darüber: "Wie viel ich im Kloster vor Heimweh weinte, weiß nur Gott allein."

Schwester Cornelia hatte die Heimat ohne den Segen der Eltern verlassen, weil alle gegen ihren Klostereintritt waren. Der Vater hatte bereut, die Unterschrift für die Ausreisebewilligung gegeben zu haben, und betrank sich, der Mutter war es egal.

Die Mädchen wurden im Kloster mit großer Liebe und Freude aufgenommen. Nach sechs Wochen Probezeit bekamen sie ihre Kandidatinnen-Häubchen. Dies war der 13. März 1932 – Passionssonntag – und gleichzeitig der 21. Geburtstag von Schwester Cornelia. Sie war sehr glücklich und dankte dem Heiland für dieses Geburtstagsgeschenk.

Am Vorabend der Feier sagte die gute, Ehrwürdige Mutter in einer Ansprache zu den Kandidatinnen: "Meine lieben Kinder, morgen ist Passionssonntag. Wir haben Euch, wie ich an Euren Gesichtern sehe, mit der Aufnahme in unsere Klostergemeinschaft eine große Freude bereitet; doch wir wissen nicht, ob der liebe Gott nicht die eine oder andere von Euch als Sühneseele auserwählen wird. Das ist gut so, denn sonst würden wir vor dem bevorstehenden Kreuz erschrecken" Das war für Sr. Cornelia bereits die Prophezeiung, ohne daß sie es erahnte. Sie schreibt darüber: Ich war damals so glücklich, daß ich an das Kreuz nicht dachte. Die Hauptsache war, daß ich endlich im Kloster war, nach dem ich mich so sehr gesehnt hatte!

Die Postulantinnen halfen den Schwestern bei der Arbeit, besonders in der Krankenpflege im Krankenhaus, welches der Kongregation gehörte. Schwester Cornelia kam gleich nach dem Erhalt der Kandidatinnenhaube ins Krankenhaus auf die Männerstation. Hier, so schreibt sie in ihren Erinnerungen, fing das Kreuz an. Sie hatte eine furchtbare Angst vor den Männern.

Die Vorgesetzten hatten sehr schnell erkannt, daß die Kandidatin sehr fleißig und gewissenhaft in der Pflege der Kranken war. Aus diesem Grunde wurde sie schon nach 4 Wochen ins Krankenhaus nach Jauernig versetzt, um eine erkrankte Schwester zu vertreten. Sie sagte zu der Novizenmeisterin: "Ich habe Angst davor, denn ich kenne ja noch nichts, außerdem kann ich auch noch nicht deutsch sprechen." Die Novizenmeisterin aber gab ihr ein Kreuz mit auf den Weg und sagte: "Mir ist nicht bange um Sie. Wenn nicht Sie es wären, die dorthin geht, so hätte ich wohl schon Not. So aber bin ich voller Zuversicht."

In Jauernig waren alle mit der Kandidatin zufrieden, die Ärzte wie auch die Schwestern. Aber auch dort mußte sie kämpfen. Ein junger Mann verfolgte sie ständig und wollte sie heiraten. Sie beklagte sich bei der Mutter Oberin wegen dieses Mannes und bat sie, sie möge sie nicht mehr allein in die Kirche gehen lassen, da der Mann sie immer belästigte.

Die Oberin aber erwiderte ihr: "Ich habe keine Angst um Sie, Sie haben die Berufung für das Kloster!" Nach zwei Monaten mußte sie wieder zur Aushilfe ins Krankenhaus nach Freiwaldau gehen. Der sechzigjährige Arzt wollte sie nicht gehen lassen, doch jetzt ging es auch um die Vorbereitung auf die Einkleidung, und da mußte der Arzt nachgeben und Schwester Cornelia gehen lassen.

In Freiwaldau kam sie als Aushilfe auf die Extrastation zur Stationsschwester Peregrina. Sie war eine sehr genaue Schwester, und Sr. Cornelia lernte viel bei ihr, auch die deutsche Sprache, soweit dies in der kurzen Zeit möglich war. Nur einen Monat war sie mit Schwester Peregrina zusammen, dann wurde diese als Oberin in ein anderes Haus versetzt, und Sr. Cornelia blieb mit dem Stationsmädchen allein auf der Station. Dies war allerdings für einige Schwestern von anderen Stationen ein Dorn im Auge. Sie beschuldigten Sr. Cornelia bei der Oberin, daß sie die Kranken nicht gut pflege.

Die Oberin überzeugte sich selbst und sah, daß Sr. Cornelia außerordentlich gewissenhaft arbeitete. Auch waren alle Ärzte und Patienten mit ihr zufrieden. Die Oberin wies daher die neidischen Schwestern zurecht.

Nach 6 Monaten wurde sie in Olbersdorf am 4. Februar 1933 eingekleidet und erhielt den Namen Sr. Maria Cornelia. Nur Gott allein wußte, wie glücklich sie war. Vor Freude konnte sie nicht einmal schlafen. Doch schon kurz nach der Einkleidung erkrankte Sr. Cornelia an einer schweren Angina mit hohem Fieber. Dies wiederholte sich dreimal. Dann aber meldete sich die Krankheit zum vierten Mal. Die Novizenmeisterin, Sr. Regina, hatte sie untersucht. Die Temperatur stieg auf 39,5º C. Sr. Regina sagte zu der Novizin: "Das ist schrecklich mit Ihnen. Sie machen mir Kummer. Wir haben Sie nicht deswegen eingekleidet, damit Sie immerzu im Bett liegen. Doch jetzt gehen Sie ins Bett, besuchen komme ich Sie nicht mehr." Die Novizin weinte bitterlich, bis sie einschlief.

Es war Vormittag. Sie träumte einen sehr lebhaften Traum, den sie nachfolgend beschreibt: Ich sah mich krank im Bett liegen. Plötzlich öffnete sich die Türe des Schlafsaales. Ich hörte, wie eine zarte Stimme rief: "Sr. Cornelia!" Spontan antwortete ich: "Hier bin ich!" Dies wiederholte sich drei mal. Dann sah ich eine sehr schöne weiße Gestalt. Diese schwebte über die Betten und tat so, als suche sie jemanden. Auf einmal sah sie mich an. Ich erkannte die liebe Mutter Gottes. Sie trug ein großes, schweres Kreuz und ging sehr gebückt. Sie legte das Kreuz auf mich und sagte zu mir: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort!" Das Kreuz, welches die liebe Gottesmutter auf mich gelegt hatte, war so schwer, daß ich glaubte, darunter zu ersticken, und ich rief: "Liebe Gottesmutter, hilf mir, ich ersticke unter dieser Last!" Das rief ich so lange, bis ich erwachte. Es war niemand bei mir. Das Kopfkissen war noch ganz naß und abgefärbt von den Tränen, die ich vor dem Einschlafen geweint hatte.

Nach einer Weile kam eine Schwester und brachte mir das Mittagessen. Sie sagte zu mir: "Schwester Cornelia, Sie machen ja schöne Geschichten. Jeden Augenblick sind Sie im Bett" Ich bat Sr. Angelika, sie möge so gut sein und Sr. Novizenmeisterin bitten, daß sie einmal zu mir kommen möge, ich müsse ihr erzählen, was ich geträumt habe. Zu meiner großen Freude kam Mutter Novizenmeisterin, und ich erzählte ihr meinen Traum. Sie sagte daraufhin zu mir: "Da können Sie sich noch auf ein größeres Kreuz, als Sie es schon haben, vorbereiten." Sie zeichnete mir ein Kreuzchen auf die Stirn und ging fort. Ich war glücklich, daß die Mutter Novizenmeisterin nicht mehr böse auf mich war.

Ein paar Tage mußte ich noch wegen des Fiebers im Bett bleiben. Als ich dann aufstehen durfte, konnte ich mit dem linken Fuß nicht auftreten. Ich sagte jedoch nichts, denn ich wollte den lieben Vorgesetzten keinen Kummer machen. Es bemerkte niemand, daß mir der Fuß weh tat. Eines Tages ging jedoch die Novizenmeisterin hinter mir die Treppe hinunter. Ich konnte mit dem Fuß sehr schlecht auftreten. Er war bis zum Knöchel angeschwollen. Dies sah Mutter Novizenmeisterin jetzt von hinten und sagte zu mir: "Meinen Sie, Schwester Cornelia, ich sähe nicht, daß Sie hinken? Was haben Sie wieder?" Ich erwiderte: "Vielleicht Rheumathismus, denn mein Fuß ist geschwollen."

Es war im Jahre 1933. Ungefähr 2 Wochen ging ich mit solch furchtbaren Schmerzen umher. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, ging ich zur Mutter Novizenmeisterin und sagte ihr, daß ich so furchtbare Schmerzen im Fuß hätte, daß ich nicht mehr auftreten könne. Sie sagte zu mir: "Gehen Sie sofort ins Krankenhaus!" Das Krankenhaus war Eigentum der Kongregation. Ich ging sogleich dorthin. Der Primarius untersuchte mein Bein und schickte mich zum Röntgen. Sr. Henriette machte das Bild. Ich mußte auf das Resultat warten. Nachdem der Arzt das Bild gesehen hatte, stellte er Knochentuberkulose fest, was er mir aber nicht sagte. Er bestellte mich für den nächsten Tag, an dem ich einen Gipsverband bekommen sollte.

Ich meldete mich bei der Novizenmeisterin zurück und sagte ihr, daß ich am nächsten Tag nochmals ins Krankenhaus sollte, damit ich einen Gipsverband bekäme, da ich einen Knochensprung hätte, wie mir der Arzt erklärt hatte. Die Novizenmeisterin sagte zu mir: "Sr. Cornelia, wenn Sie das Bein behalten können, so können Sie von Glück reden." Ich aber nahm dies mit meiner lebhaften Natur nicht so tragisch. Man hatte mir ja verschwiegen, daß es eine Knochentuberkulose war und auch die Folgen. Ich glaubte, ich müsse den Gipsverband 6 Wochen tragen, und danach würde es schon wieder gut werden. Doch aus den 6 Wochen wurden 6 Monate, und das Bein war immer noch nicht gesund.

Mit dem Gipsverband wurde ich der Küchenschwester zur Seite gestellt. Natürlich konnte ich mich nicht schonen. Ich machte alle Arbeiten. Am schwersten war es für mich, wenn ich die vielen Kartoffeln aus dem Keller holte, da ich die Stiege schwer gehen konnte. Niemand bemerkte, daß ich ein krankes Bein hatte, denn ich tat alle meine Pflichten.

Meine lieben Vorgesetzten hatten nach dem aszetischen Jahr den Plan gehabt, mich als Köchin in Rabenseifen einzusetzen, einem Erholungsort für die Schwestern. Dort waren ständig drei, im Sommer jedoch bis zu 15 Schwestern. Für diese hätte ich kochen sollen. Doch der gute Heiland hat es anders gefügt. Während der Exerzitien im aszetischen Jahr verschlimmerte sich meine Krankheit so, daß ich keinen Schritt mehr gehen konnte. Ich wurde ins Krankenhaus getragen und blieb dort einige Monate bis zu dem Tag, an dem mir das Bein amputiert werden sollte. Es war der Tag vor dem Fest Peter und Paul. Ich war an diesem Tag für die Operation vorbereitet, und die Stationsschwester wollte mir schon eine Spritze geben. Der Primarius Neugebauer kam nochmals zu mir ins Krankenzimmer, schaute mich mitleidig an und sagte zur Frau Oberin: "Schauen Sie sich das Menschenkind an! Sie steht am Anfang ihres Lebens. Mir tut sie leid. Ich werde sehen, ob ich noch etwas für sie tun kann." Noch am selben Tag kam ich zurück ins Krankenhaus des Mutterhauses, da ich ja nicht operiert wurde.

Zwei Wochen später bekam ich eine Blindarmentzündung mit Fieber. Ich mußte wieder ins Krankenhaus. Der Primarius war im Urlaub. Ich wurde vom Assistenzarzt operiert. Die Blindarmoperation gelang, jedoch wurde während der Operation eine Bauch-Tuberkulose festgestellt. Die Wunde wollte und wollte nicht heilen. Erst nach 3 Monaten konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen, um in das Krankenzimmer des Mutterhauses überzusiedeln. Dort wartete ich auf den Tag, an dem mir der Fuß abgenommen werden sollte. Dieser Tag wurde auf den 12. Dezember 1934 festgesetzt.

Einen Tag vor dieser Operation kam die Provinzialoberin, Mutter Cordula, zu mir und fragte mich: "Schwester Cornelia, was wollen Sie lieber: nach Hause gehen oder sich den Fuß abschneiden lassen?" Mutig antwortete ich ihr: "Liebe, Ehrwürdige Mutter, lieber lasse ich mir beide Beine abnehmen, als daß ich wieder heim wollte!" Die Ehrwürdige Mutter ging ein Stück von meinem Bett weg und weinte. Dann kam sie zurück und sagte zu mir: "Nein, Schwester Cornelia, wir schicken Sie nicht nach Hause. Es war aber meine Pflicht, Sie zu fragen." Abends wurde ich in die Klinik getragen, damit ich für die Operation vorbereitet werden konnte. Ich ergab mich in Gottes heiligsten Willen, und da wir gerade im Advent waren, sagte ich in meinem Inneren: "Lieber Gott, ich habe nichts, was ich Dir in die Krippe legen kann. Du bekommst diesmal nur den harten Knochen, das abgeschnittene Bein. Damit mußt Du zufrieden sein. Wenn dies Dein Wille ist, so gib mir die Gnade, alles gut zu überstehen."

Als der nächste Tag gekommen war, freute ich mich, daß ich dem lieben Gott das Opfer meines Fußes bringen konnte. Als ich auf dem Operationstisch lag, kamen die Schwestern gerade zum Mittagstisch. Die Ehrwürdige Mutter Cordula sagte zu den Schwestern: "Sr. Cornelia ist gerade jetzt im Operationssaal. Es wird ihr das Bein abgenommen. Beten wir für sie!" Und sie beteten das "Vater unser. das "Ave Maria" und "Unter deinem Schutz und Schirm". Die Ehrwürdige Mutter Cordula weinte dabei bitterlich, wie mir später die Schwestern erzählten.

Ich lebte immer in dem Bewußtsein, daß ich mit meiner Krankheit meinen Vorgesetzten großen Kummer bereitete. Deshalb bemühte ich mich besonders, niemals traurig zu sein und immer guten Mutes und voll heiliger Hoffnung. Gern beschäftigte ich mich im Bett mit Handarbeiten für die Kongregation. Am Tage arbeitete ich, und nachts betete ich oft bis zu 10 Rosenkränze. Ich konnte keinen Schlaf finden, aus Angst vor den sterbenden oder gestorbenen Schwestern. In diesem Zimmer starben viele Schwestern, denn man hatte mich zu den schwersten Fällen gelegt. Es war ein 5-Bett-Zimmer mit vorwiegend altersschwachen Schwestern, die aus den Filialhäusern ins Mutterhaus zum Sterben kamen. Ich war immer die Jüngste, eine Novizin.

Die Pflegeschwester, Sr. Siena, mochte mich nicht. Oft sagte sie zu mir: "Sie junger Schnacker, Sie sollten lieber arbeiten, damit wir alte Schwestern uns jetzt einmal ausruhen könnten. Statt dessen legen Sie sich ins Bett und lassen sich bedienen." Doch ich konnte nichts dafür. Das amputierte Bein wollte auch nicht heilen. Es eiterte an den Narben, und die ganzen Muskeln waren schon vereitert. Ich hatte furchtbare Schmerzen. Jeden zweiten Tag ging ich auf Krücken ins Krankenhaus zum Verbinden. Der Arzt war erschüttert über die garstige Wunde, doch helfen konnte er mir auch nicht. Oft weinte ich bittere Tränen darüber, daß ich meinen Mitmenschen nur eine Last war. Ein halbes Jahr eiterte das Bein.

Es ging wieder auf das Frühjahr zu. Der Primarius dachte an eine erneute Operation, welche auch ausgeführt wurde. Nach dieser Operation hatte ich sehr viel Schmerzen. Acht Tage mußte ich im Spital wieder fest liegen. Anschließend wurden die Drainagen entfernt. Die Wunde muß sehr garstig gewesen sein. Sr. Irmina, die Stationsschwester, meinte es gut mit mir. An einem schönen, sonnigen Tag im Mai setzte sie mich an das offene Fenster. Ich sollte den Fuß von der Sonne bescheinen lassen. Nach einer Stunde kam die Krankenschwester zu mir ins Zimmer und sagte: "Für heute haben Sie genug. Morgen dürfen Sie dann das erste Mal wieder in die Heilige Messe gehen." So war es auch. Als ich jedoch am nächsten Tag aus der Kapelle kam, wurde mir unsagbar schlecht. Ich bekam Schüttelfrost, der volle zwei Stunden andauerte. Anschließend stieg das Fieber auf 40°, und das Knie am amputierten Bein tat so weh, daß ich es nicht mehr aushalten konnte.

Der Arzt stellte eine Lungenentzündung fest. Als er am nächsten Tag zur Visite kam und sich das amputierte Bein besah, war der Stumpf 10 cm feuerrot geworden. Eine ganze Woche lang wurde das Bein täglich einen Zentimeter weiter rot. Es war Rotlauf mit anschließender Blutvergiftung. Die Krankenhausoberin war sehr besorgt um mich und sagte zu mir: "Schwester Cornelia, Sie sind sehr krank. Wir möchten, daß Sie Ihre Profeß im Bett ablegen."

Ich war während dieser Krankheit recht frohgemut, ja, beinahe übermütig und sagte zu der lieben Mutter: "Liebe Mutter, ich werde noch nicht sterben, ich werde noch lange leben, um Euch noch recht lange zu ärgern!" Die liebe Mutter ging voller Hoffnung wieder von mir. Alle meinten, ich würde phantasieren, doch ich wußte alles, was ich gesagt hatte. Noch heute weiß ich es, als wäre es gestern gewesen.

Das Bein tat mir sehr weh. Es war wie eine Kanne geschwollen, und ich war bis zum halben Bauch feuerrot. Der Primarius wollte das Bein noch einmal öffnen. Er meinte, es muß dem Fieber nach völlig vereitert sein. Die Schwestern wollten mich nun auf den Wagen legen. Beim Aufheben des Beines aber platzte die Wunde auf, und der Eiter floß in so großer Menge heraus, daß sich der Strom bis zur Türe ergoß.

Eine Operation war nun nicht mehr notwendig. In einer Woche verheilte die Wunde, und das Fieber verschwand. Als der Primarius dies sah, faßte er Mut und fabrizierte mir eigenhändig einen Stelzfuß, damit ich gehen konnte.

Jedoch schon kurze Zeit später zog ich mir erneut eine Erkältung zu und wurde wieder sehr krank. Als ich wieder genesen war, konnte ich im Sommer, am 31. Juli 1935, die heiligen Gelübde ablegen. Es waren die zeitlichen Gelübde auf 3 Jahre. Am liebsten hätte ich die ewigen Gelübde abgelegt, weil ich dachte, daß man mich dann nicht wieder nach Hause schicken könne. So aber hatte ich immer Not darum aufgrund meiner häufigen Erkrankungen; denn oftmals sagte die Mutter Meisterin zu mir: "Wir werden Sie nach Hause schicken!"

Meine Mitnovizinnen haben mich oft ausgelacht. Sie sagten zu mir: "Heilige Cornelia, bitte für mich!" Einmal, zu meinem Namenstag, legten sie mir einen Heiligenschein mit einem Gedicht aufs Bett. Der Heiligenschein war aus Pappdeckel gemacht und mit Staniolpapier überzogen. Ich weiß nicht, was die Schwestern dazu bewogen hatte, mir so etwas zu basteln. Alle haben mich ausgelacht. Ich lachte mit, denn es war ja auch richtig, über eine solche Dummheit zu lachen. Ich sagte zu meinen Mitschwestern: "Ich bin mit einem Heiligenschein nicht zufrieden. Es gehört noch ein Postament dazu." Sie lachten alle herzlich und versprachen mir dieses für das nächste Jahr, was ich dann auch erhielt. Doch wieder war ich damit nicht zufrieden. Jetzt wollte ich eine Kirche dazu haben. Diese aber bekam ich nicht. Die Novizinnen sagten: "Mit Ihnen wird man nicht fertig, Sie betreiben Ihre eigene Politik." Sie wollten mich ärgern, doch weil ich mich nicht ärgern ließ, hörten sie mit solchen Späßen auf.

Ich war überaus glücklich, daß ich im Kloster sein durfte. Ich tat, was die anderen auch taten, ohne in der Gemeinschaft aufzufallen. Da ich jetzt meinen Fuß nicht mehr hatte, wurde ich zur Hilfe in die Nähstube gegeben, die sich im 3. Stock befand. Auch wurde mir das Läuten zum Gebet und zu den Mahlzeiten anvertraut. Ich ging immer einige Minuten zuvor zur Glocke, damit ich läuten konnte, wenn die Uhr geschlagen hatte.

Eines Tages, es war der 21. November 1935, ging ich läuten. Anschließend ging ich, wie immer, als erste ins Refektorium. Es war 11 Uhr und unsere Mittagessenszeit. Als ich so den Korridor entlang ging, erblickte ich in der Klausur ein Kind, welches mir – weiß gekleidet – entgegenkam. Es war ungefähr 15 m von mir entfernt. Als ich näher kam, sah ich, daß das Kind von einer Wolke getragen wurde. Die Wolke war weiß wie Schnee und das Kind im Alter von ungefähr drei oder vier Jahren. Das weiße Kleidchen ging dem Kind ein Stück bis unter die Knie, und die Ärmchen hatte es breit ausgespannt. Als ich ihm ganz nahe kam, war es plötzlich verschwunden. Ich schaute hin und her, doch ich konnte kein Kind mehr sehen. Ich dachte darüber nach, was das wohl gewesen sein mochte, doch an das Jesuskind dachte ich nicht. Von nun an aber sah ich dieses Kind immer wieder: in der Kapelle, im Garten, bei der Arbeit. Ich war darüber sehr erschrocken und wußte nicht, was das war. Eines Tages, als ich im Schlafzimmer ganz alleine war, faßte ich Mut und fragte: "Wer bist du, und was willst du?" – "Ich bin dein Jesus, meine Schwester, und ich komme, um dich für mich zu erziehen", so antwortete das Jesuskind. Ich dachte nun fortwährend darüber nach, und das Jesuskind kam immer öfter.

Mit niemandem sprach ich darüber. Es fehlte mir der Mut. Oft dachte ich daran, wie mich die lieben Mitschwestern verspottet und ausgelacht hatten, und ich fragte mich, welchen Spott sie wohl treiben würden, wenn sie darum wüßten. Auch fürchtete ich, es könnte ein Blendwerk der Hölle sein, so daß ich mich sehr darüber grämte. Ich konnte weder essen, noch schlafen. Es ging so weit, daß ich sehr schwer erkrankte und zum Arzt geschickt wurde. Der Arzt stellte anhand des Röntgenbildes eine Lungenentzündung fest.

Das Jesuskind kam nun immerfort und trieb mich zu großen Opfern an, indem es oft sagte: "Bringe es mir zum Opfer!" Ich tat alles, was mir nur einfiel, um Opfer zu bringen. Selbst auf die Butterzuteilung verzichtete ich, nur um dem lieben Jesuskinde ein Opfer zu bringen. Die Butter, die ich mir auf die Semmeln streichen sollte, warf ich ohne Überlegung ins Feuer, weil ich glaubte, daß das ewige Licht nur für den lieben Gott elektrisch brennt. Voll Freude schaute ich in den Ofen und beobachtete, wie die Butter hell brannte und wünschte mir, daß auch meine Liebe zu Gott so aufglühen möchte.

Wenn ich im Fieber lag, hatte ich das Verlangen, mich als Opfer zu verzehren. An eine Genesung glaubte niemand. Meine Augen glühten im Fieber, doch mein Herz glühte vor Liebe zu Gott, und ich war von dem Wunsch beseelt, dem Heiland alles zu opfern.

Ständig verlangte ich nun Arbeit ans Bett, damit mir der Tag besser vergehen sollte. Ich nähte so viel mit den Händen, daß die Nähstubenschwester jedesmal vor Freude weinte, daß ich so viel geschafft hatte. Es waren an einem Tag jedes mal über 70 Knopflöcher, die ich genäht hatte. Ich gönnte mir mittags nicht einmal fünf Minuten zum Ausruhen. Ohne Unterlaß arbeitete ich im Bett und unterbrach meine Tätigkeit nur, um meine Pflichtgebete zu verrichten. Des nachts konnte ich wieder vor Angst vor den sterbenden Mitschwestern nicht schlafen, und so betete ich oft halbe Nächte gewöhnlich zehn oder zwölf Rosenkränze. Ich wollte mich damit gut auf meinen Tod vorbereiten, denn es wurde mir oft durch die Novizenmeisterin gesagt, daß ich am Rande meines Lebens sei. Den Tod fürchtete ich damals nicht. Im Gegenteil, ich freute mich überaus auf denselben und suchte nur nach Opfern, die ich noch bringen konnte.

Die Mitschwestern, welche ebenfalls lungenkrank mit mir in einem Zimmer lagen, bekamen Lebertran als Medizin. Keine wollte ihn trinken, weil er so ekelig schmeckte. Auch ich konnte ihn nicht riechen, doch ich dachte, wenn ich sterben sollte, so muß ich, um in den Himmel zu kommen, dieses Opfer bringen. So trank ich dann den mir zugedachten Lebertran und auch den meiner kranken Mitschwestern. Die Butter und alle Süßigkeiten aber, die ich bekam, warf ich aus Liebe zu Gott ins Feuer. Das liebe Jesuskind segnete mich jedesmal, wenn ich ein solches Opfer gebracht hatte. Meine Krankheit besserte sich innerhalb von neun Wochen sehr, trotz der vielen Opfer, die ich gebracht hatte, um gut zu sterben. Eine Leidensgenossin nach der anderen starb, bis schließlich in einem Jahr alle erlöst waren und ich allein zurückblieb. Gerade ich mußte am Leben bleiben, die ich ein Krüppel war ohne Fuß. Ich weinte bitterlich, daß ich nun allein geblieben war, hatte ich mich doch so sehr auf den Tod gefreut.

Von meiner Pflegeschwester wurde mir das Weinen übel genommen. Sie ging zur Novizenmeisterin und verklagte mich, daß ich unzufrieden sei und fortwährend weine. Die Novizenmeisterin ließ mich rufen, und als ich zu ihr kam, ging sie wortlos aus dem Zimmer und ließ mich einfach so stehen. Ich stand eine halbe Stunde in ihrem Zimmer, dann suchte ich sie. Damals hatte ich noch keine Prothese, sondern nur das Stelzbein, auf dem ich mit dem angeschnittenen Bein knien mußte. Es war für mich eine Qual, so lange stehen zu müssen. Ich fand die Mutter Meisterin im Noviziat sitzen und handarbeiten. Ich ging zu ihr. Als sie mich sah, stand sie, ohne ein Wort zu sagen, auf und verließ den Raum. Ich ging ihr bis in ihr Zimmer nach. Es war die Mutter Meisterin Aniceta. Als ich ins Zimmer eingetreten war, fragte sie mich in sehr strengem Ton: "Was wollen Sie hier?" Ich antwortete: "Mutter Meisterin, Sie haben mich rufen lassen, und ich weiß nicht, was Sie von mir wünschen." Dabei weinte ich bitterlich. Die Mutter Meisterin erklärte mir: "Wenn es Ihnen nicht paßt, können Sie immer noch nach Hause gehen. Ob Sie die ewigen Gelübde machen werden, ist noch fraglich!"

Von da an lebte ich in furchtbarer Angst, daß man mich doch noch nach Hause schicken würde. Ich sagte zur lieben Mutter Meisterin: "Liebe Mutter Meisterin, was habe ich verbrochen? Bitte sagen Sie es mir, damit ich mich bessern kann." Sie antwortete mir: "Sie Quälgeist, ich soll Ihnen wohl noch Rechenschaft ablegen? Schauen Sie, daß Sie wegkommen!" Zutiefst erschrocken fragte ich: "Mutter Meisterin, wohin soll ich denn gehen? Ich gehöre doch noch immer ins Noviziat! Eine Mutter habe ich auch nicht mehr, der ich schreiben könnte. Mutter Meisterin, Sie haben mich doch mit dem Eintritt ins Kloster als Kind angenommen, und jetzt wollen Sie mich ohne Grund aus Ihrem Zimmer herausschmeißen? Bitte, wohin soll ich gehen, wenn nicht zur Mutter?" Ich weinte noch immer bitterlich und sagte noch: "Gut, ich gehe zur lieben Gottesmutter und werde sie ohne Unterlaß bitten, daß sie mich zu sich nehmen soll, weil man mich auch hier nicht haben will!"

Mutter Meisterin hatte meine Worte verstanden, und es war, als hätte sie sich in einem einzigen Augenblick gewandelt. Sie drehte sich zu mir um und sagte mit Lachen: "Schwester Cornelia, Sie sind ein guter Quälgeist. Kommen Sie, weinen Sie nicht mehr. Ich habe Sie heute erst richtig kennengelernt." Von da an war die Novizenmeisterin wie umgewandelt. Sie war sehr gut zu mir und bat mich sogar um Verzeihung für alles, womit sie mir wehgetan hatte.

Bald merkte ich, daß es den anderen Schwestern lieber gewesen wäre, wenn ich anstelle der anderen kranken Schwestern gestorben wäre, weil ich doch ein Krüppel war und keine vollwertige Arbeitskraft. Ich bemühte mich daher, noch fleißiger zu sein, und es gelang mir, sitzend so viel zu schaffen wie ein gesunder Mensch.

Als ich mich immer besser fühlte, bat ich darum, schon eine richtige Arbeit übernehmen zu dürfen. Die Ehrwürdige Mutter selbst sagte eines Tages zu mir: "Schwester Cornelia, ich habe ein schönes Amt für Sie. Trauen Sie sich zu, die Klosterpforte zu übernehmen?" Ich antwortete ihr: "Wenn die Ehrwürdige Mutter glaubt, daß ich es kann, so werde ich es mir auch zutrauen." An der Klosterpforte war nämlich eine sehr alte Schwester, die ich ablösen sollte. Die Ehrwürdige Mutter ging nun selbst mit mir zur Pforte und stellte mich Schwester Eucheria vor. Sie sagte zu Schwester Eucheria: "Ich bringe Ihnen eine tüchtige Vertretung. Lernen Sie sie gut an und erklären ihr alles, was an der Pforte zu tun ist, denn Sie müssen ein wenig ausruhen, es ist zuviel für Sie." Die Ehrwürdige Mutter zeichnete mir ein Kreuzchen auf die Stirn und ging fort.

Die Pforte war ein kleines Zimmer, in dem ein Bett für das Dienstmädchen stand, welches dort schlief, eine Kommode, ein Tisch, zwei Stühle, ein Hocker, auf dem das Mädchen sitzen konnte und ein Waschtisch. Sr. Eucheria trug alsbald einen der beiden Stühle ins Armenzimmer mit den Worten: "Für zwei Stühle ist hier kein Platz. Wie sich die Ehrwürdige Mutter das so denkt!" Zu mir sagte sie dann: "Wenn Sie es aushalten, können Sie die ganzen Tage stehen." Ich stand den halben Tag auf einem Fleck, denn ich durfte keinen Schritt innerhalb des Zimmers tun. Das Dienstmädchen schaute mich mitleidig an und bot mir ihren Hocker an, damit ich mich setzen konnte. Doch wurde ihr das sofort untersagt mit den Worten: "Für zwei Stühle und einen Hocker ist hier kein Platz. Außerdem ist sie hierher gekommen, um mich von der Pforte zu vertreiben. Ich will und brauche sie hier nicht."

Nachdem Sr. Eucheria dies gesagt hatte, ging ich weinend zur ehrwürdigen Mutter und erzählte ihr alles. Auch, daß ich den halben Tag auf einem Fleck habe stehen müssen und daß Schwester Eucheria immer wieder gesagt hatte, daß für zwei Stühle und einen Hocker in der Pforte kein Platz sei, und sie den zweiten Stuhl ins Armenzimmer gebracht hatte und ich stehend meinen Dienst verrichten sollte.

Die Ehrwürdige Mutter war nach meinem Bericht sehr ärgerlich auf Schwester Eucheria, und sie sagte zu mir: "Gehen Sie ruhig wieder an die Pforte. Ich werde in der Zwischenzeit mit ihr reden."

Nach dem Mittagessen ging ich wieder an die Klosterpforte. Zu meinem Erstaunen stand dort schon ein Stuhl für mich. Schwester Eucheria sagte zu mir: "Ich habe gehört, daß Sie sehr geschickt handarbeiten können. Ich habe hier eine Fülle von Arbeit, da können Sie es gleich einmal unter Beweis stellen." Schwester Eucheria war Handarbeitslehrerin. Sie erklärte mir die anzufertigende Handarbeit, und sie war die Liebe in Person. Ich aber hatte eine solche Arbeit noch nie gesehen und auch noch nicht gemacht, doch ich ging frohen Mutes ans Werk. Vor allem aber war ich glücklich, daß Schwester Eucheria nicht mehr ärgerlich über mich war. Als ich schon eine Weile gearbeitet hatte, begutachtete Schwester Eucheria das Werk und fragte mich: "Wo haben Sie die Handarbeit gelernt?" Ich antwortete ihr. "Nirgends, auch diese Arbeit nicht! Zum ersten Mal in meinem Leben mache ich diese Handarbeit." Anerkennend sagte sie: "Das machen Sie schöner als ich. Sie müssen die ganze Arbeit fertigmachen." Es war eine sehr schwere Spitze für einen Chorrock.

Ich war sehr glücklich, daß sie mich liebgewonnen hatte, und arbeitete fleißig daran. Doch nicht lange währten Frieden und Eintracht, denn kurze Zeit später brachte mir die Novizenmeisterin eine Arbeit aus der Nähstube, die zur bevorstehenden Einkleidung fertig sein sollte. Da ich immer noch zum Noviziat gehörte, mußte ich die Arbeit der Novizenmeisterin annehmen. Damit begann erneut das Kreuz. Die Pfortenschwester war wieder so garstig wie zuvor mit mir. Doch den Stuhl, auf dem ich saß, ließ ich mir nun nicht mehr nehmen. Alle Augenblicke schimpfte sie mit mir, daß ich zuviel Platz benötigte. Ich konnte nicht anders, ich weinte immerzu und dachte nach, wie ich die Schwester zu einer anderen Gesinnung bringen könnte.

Als das liebe Jesuskind bei mir war, fiel mir ein, für die Sünden der Lieblosigkeit Buße zu tun. Ich fragte das Jesuskind: "Soll ich Buße tun?" und das Jesuskind antwortete: "Ja, tue Buße, und übe dich in der Liebe!" Ich tat alles, was mir nur einfiel. Zum Beispiel fiel mir ein, keine Buttersemmel mehr zu essen. Weil ich tuberkulös war, bekam ich zum Frühstück eine Buttersemmel, die ich noch im Krankenzimmer aß. Ich trank zum Frühstück nur den Kaffee, die Buttersemmel aber packte ich in Papier und gab sie an der Pforte den Armen. Auch mit allen anderen guten Sachen und Süßigkeiten machte ich es so. Niemand merkte etwas davon. Dann fiel mir noch folgendes ein: Da ich ein Stelzbein hatte, bog ich den Stumpf rückwärts ein. So konnte ich auf ein Brett, auf dem ein Wattepolster lag, knien. Ich nahm das Wattepolster heraus und kniete mich auf das bloße Brett. Zu meinem Erstaunen bekam ich Bursitis, jedoch am gesunden Bein. Ich hatte große Schmerzen im rechten Knie, jedoch gesagt habe ich nichts, sondern ich ertrug alles als Sühne für die Lieblosigkeiten. An der Pforte war es, als wäre der Teufel losgelassen. Eines Tages jedoch klagte Schwester Eucheria bei mir über große Schmerzen in beiden Händen, und zwar zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich bemitleidete sie, sagte aber nichts, denn in diesem Augenblick war das Jesuskind da und zeigte auf den Stuhl, welchen sie mir weggenommen hatte.

Es sagte zu mir: "Meine Schwester, auch Schwester Eucheria hat eine große Gnade bekommen, ihre Lieblosigkeit sühnen zu dürfen. Hast du gesehen, an welcher Stelle ihr die Hände wehtun? In kurzer Zeit wird sie noch mehr abbüßen müssen" Bald darauf ging ihr die Hand auf und auch ein Fuß. Ich weiß aber nicht, welcher Fuß es war, nur, daß sie viel leiden mußte. Aber auch ich mußte deswegen leiden, denn sie hielt mir immerzu vor, daß sie sich bei mir angesteckt hätte, und daß es nichts anderes als Tuberkulose sei. Zum Arzt wollte sie aber nicht gehen, denn sie hatte Angst, daß sie den Pfortendienst nicht mehr ausführen durfte. Doch die Vorgesetzten schickten Sie dennoch zum Arzt, und es kam so, wie sie es befürchtet hatte. Sie mußte ins Krankenhaus und kam nicht mehr zurück. Nach einigen Wochen starb sie.

Ich blieb nun an der Pforte mit dem Dienstmädchen allein. Später bekam ich eine Postulantin, die mir helfen sollte, dann eine Novizin. Alle waren mit meiner Leistung zufrieden, und ich konnte viel Buße tun, weil ich viel herumlaufen mußte.

Es kam die Zeit, daß ich die ewigen Gelübde ablegen sollte. Wegen meiner Tuberkulose war ich immer noch außerhalb der Gemeinschaft. Vor den Gelübden aber mußte ich an den Exerzitien teilnehmen. Die Ehrwürdige Mutter aber hatte immer noch Angst, mich in die Gemeinschaft der gesunden Schwestern aufzunehmen. Ich bat oft und oft darum, doch man hatte kein Erbarmen mit mir, weil ich immer noch eine Gefahr für die Gesundheit der anderen Schwestern war. Es war kurz vor den Exerzitien, als das liebe Jesuskind wieder zu mir kam. Ich beklagte mich bei ihm, daß man mich nicht ins Refektorium und zu den Exerzitien nehmen wollte. Da sagte das Jesuskind zu mir: "Du wirst in kurzer Zeit meine Allmacht an dir selbst erfahren. Auch wird sich die Gesinnung deiner Vorgesetzten ändern. Sei getrost, du wirst bald ein großes Wunder erleben."

Einen Tag vor Beginn der Exerzitien für uns "Näher-Professen" machten wir eine Wallfahrt nach Zuckmantel. In dem Wallfahrtskapellchen wurde ich plötzlich von einem Licht geblendet. Ich war in dieses helle Licht getaucht und sah nichts anderes mehr. Als dieses Licht verschwunden war, war niemand mehr in der Kapelle, nur das liebe Jesuskind. Ich fühlte mich plötzlich so stark wie nie zuvor. Ob jemand das helle Licht gesehen hatte, weiß ich nicht, und da niemand etwas davon erwähnte, so schwieg auch ich. Doch ich war jetzt so stark, daß ich mit dem Stelzbein den 20-minütigen Weg zum Autobus mühelos gehen konnte. Alle bewunderten die Schnelligkeit meines Gehens.

Ich ging als erste und sagte zu meinen Mitschwestern: "Das Kreuz muß vorne gehen, und ich bin das Kreuz des Klosters, deshalb muß ich vorangehen." Alle riefen mir nach: "Schwester Cornelia, nicht so schnell!" Ich war immer etwa 50 Meter voraus. Alle kamen außer Atem zum Autobus, nur ich war frisch wie noch nie. Doch sie trieben noch ihren Spott mit mir; denn sie lachten mich aus, weil mir der Fuß nicht angewachsen war. Zuvor hatte ich gesagt, daß ich darum beten würde, daß mir der liebe Gott den Fuß wieder anwachsen läßt, oder daß ich in die Gemeinschaft komme.

Am nächsten Tag begannen die Exerzitien. Als ich wegen der Exerzitien zur ehrwürdigen Mutter Cordula ging, sagte sie zu mir: "Schwester Cornelia, Sie dürfen von heute an in die Gemeinschaft kommen!" Meine Freude war so groß, daß ich sie gar nicht in Worte ausdrücken konnte. Doch das Jesuskind wußte es. Fünf Jahre war ich Pfortenschwester. Manche ältere Schwester wäre gern an der Pforte gewesen. Ich war überall gerne, wo ich im Gehorsam hingestellt wurde. Als ich in die Gemeinschaft kam, konnte ich nicht mehr so viele Opfer bringen, da ich nicht auffallen wollte.

Nun kam der schöne Profeßtag. Ich durfte die ewigen Gelübde ablegen. Meine Freude war überaus groß; so groß, daß alle mir ansahen, wie ich mich von Herzen freute. Mutter Sekretärin kam sogar bei Tisch zu mir und fragte mich: "Schwester Cornelia, warum freuen Sie sich so?" – "Ich freue mich schon jetzt auf das Jubiläum, denn jetzt bin ich glücklich, weil Ihr mich nicht mehr aus dem Kloster wegschicken könnt," erwiderte ich. Die Oberin schaute mich mit großen Augen an und sagte: "Sie sind ein Spitzbub!" Ich hatte es aber deswegen gesagt, weil sie mich als kranke Novizin oft hatte nach Hause schicken wollen. Damals hatte sie gesagt, daß ein Kloster kein Siechenheim sei. Sie hatte wohl erkannt, daß meine Krankheit von langer Dauer sein würde. Mater Sekretärin war von nun an immer gut zu mir. Als sie später krank darnieder lag, wollte sie keine andere Pflegerin haben als nur mich. Ich war überaus glücklich.

Das liebe Jesuskind aber forderte mich zu immer größeren Opfern auf. Ich war noch immer an der Pforte. In der Zwischenzeit hatte Hitler die Macht übernommen, und es kamen immer schlimmere Nachrichten. Ich litt sehr darunter. Auch bat ich meine lieben Vorgesetzten immer wieder um eine Prothese, damit ich meinen Pflichten an der Pforte besser nachkommen konnte. Doch mein Bitten war vergeblich. Der Arzt hatte meinen Vorgesetzten mehrfach gesagt, daß es sich nicht lohne, da ich in absehbarer Zeit eine Lungenlähmung bekommen würde. Damit war die Sache erledigt, denn es wäre ja dann schade um das Geld für die Prothese.

Nach dem Tode von Mutter Cordula wurde die Provinzoberin, Mutter Luzilla, in unserem Hause Oberin. Sie war eine sehr gute Seele, die sich von niemandem beeinflussen ließ. Mir war sie eine besorgte Mutter. Oft sah sie mich mitleidig an, wenn ich auf dem Stelzbein umherging. Eines Tages rief sie mich zu sich und befragte mich nach der Ursache, warum ich das Bein verloren hätte. Ich erzählte ihr alles. Sie weinte dabei. Dann fragte sie mich, warum ich noch keine Prothese tragen würde, da dies doch viel besser sei. Ich antwortete ihr, daß der Arzt gesagt hatte, daß es sich für mich nicht lohne, und daß Mutter Feliziana, die Ökonomin, aus diesem Grunde auch kein Geld für eine Prothese ausgeben wollte. Mutter Luzilla forderte mich nun auf, das Stelzbein abzunehmen, damit sie sehen könnte, wie weit das Bein amputiert war. Als ich nun mein Stelzbein abgenommen hatte, sah sie, wie ich es mit einer Kaliobinde befestigt hatte. Erschüttert sagte sie: "Sie Arme!" und legte den Kopf auf den Tisch und weinte bitterlich. Nach einer ziemlich langen Pause sagte sie:

"Schwester Cornelia, Sie müssen unbedingt eine Prothese bekommen, und wenn ich das Geld dazu von meinen Verwandten erbetteln müßte. Nicht wahr, Ihre Verwandten möchten sicher auch etwas dazulegen. Schreiben Sie doch auch Ihren Verwandten." Ich tat, wie mir die liebe, Ehrwürdige Mutter befohlen hatte. Schon nach einer Woche kam die Antwort von meinem Bruder Emil, der alleine schon 200 Mark spenden wollte. Damals, im Jahre 1940, waren 200 Mark sehr viel Geld, und die Prothese allein kostete schon so viel.

Auch mehrere andere Geschwister erklärten sich bereit, alle Kosten zu übernehmen. Die Hauptsache sei, daß ich wieder gehen könne. Die Ehrwürdige Mutter klärte mit dem Beuthener Krüppelheim ab, wann ich kommen konnte. Im Frühjahr 1940 kam ich in Begleitung von Schwester Venatia nach Beuthen. Dort wurde ich mit großer Freude aufgenommen und sogleich zum Chefarzt geführt. Er untersuchte mein Bein und fragte mich: "Schwester, wie lange gehen Sie schon so auf dem Stelzbein?" Ich gab zur Antwort, daß es gerade fünf Jahre wären. Das Bein war unter dem Knie ganz zusammengewachsen und alle Muskeln und Sehnen waren zusammengeschrumpft. Der Oberarzt ließ die Schwester, die mich begleitet hatte, rufen und herrschte sie an: "Seid ihr in Olbersdorf Idioten? Wie habt ihr die Schwester dort zugerichtet!?" Er war sehr ärgerlich, und die Schwester hat viel einstecken müssen, obwohl sie keine Schuld traf.

Am nächsten Tag mußte ich zur Untersuchung und zum Röntgen. Ich wollte nicht gehen und weinte, denn ich befürchtete, daß das Röntgenbild immer noch Spuren der TB auf der Lunge zeigen könnte, und daß ich dann wieder keine Prothese bekommen würde. Der Chefarzt aber sagte zu mir: "Haben Sie keine Angst, Sie bekommen eine Prothese, und wenn Sie diese nur 14 Tage tragen würden!"

Ich kam als Patientin auf eine Station, auf der auch viele Kinder lagen. Da hatte ich viel zu tun. Ich machte alle Arbeit bei den Kindern so, als sei ich dort angestellt. Die Stationsschwester, Schwester Servatia, war überglücklich, daß ich ihr so viel half, und sie lief gleich in die Werkstatt, wo man die Prothese anfertigte, und sagte zu den Arbeitern, daß sie sich nicht mehr mit der Herstellung der Prothese zu beeilen brauchten, denn sie hätte eine große Hilfe an mir. Bekäme ich die Prothese bald, so müßte ich das Krankenhaus auch wieder verlassen. Zum Schluß kam es so, daß man mich nicht mehr nach Olbersdorf zurücklassen wollte, bis ein energischer Brief von der Oberin kann.

In den vier Monaten, in denen ich in Beuthen im Krüppelheim war, besuchten mich meine Geschwister jede Woche. Sie hatten sich untereinander abgesprochen, mir den Aufenthalt in Beuthen und die Prothese zu bezahlen. Ich fuhr noch eine Woche zu Besuch zu meinen Angehörigen, von denen ich zum Abschied noch viel Geld geschenkt bekam. Es war das erste Mal, daß ich nach acht Jahren zu meinen Angehörigen fuhr. Als ich bei meinen Angehörigen zu Besuch war, ist auch dort das liebe Jesuskind immer zu mir gekommen. Einmal fragte ich es: "Auch hier hast du mich gefunden?" Das Jesuskind antwortete mir: "Wohin du gehst, dort muß auch ich sein!" Auch in Beuthen war es oft bei mir gewesen. Ja, je öfter ich an das Jesuskind dachte, um so öfter kam es zu mir.

Als die Besuchstage vorbei waren, fuhr ich nach Beuthen zurück. Von dort aus sollte ich wieder nach Olbersdorf. Als ich den Aufenthalt in Beuthen und die Prothese bezahlen wollte, erklärte mir der Direktor: "Schwester, Sie haben hier vier Monate fleißig gearbeitet. Sie bezahlen nur die Prothese mit 200 Mark. Alles andere haben Sie abgearbeitet!" Ich hatte dort erster Klasse gelegen, und auch das Essen war dementsprechend. So mußte ich meine geschenkten 2000 Mark einstecken und mit nach Olbersdorf nehmen. Als ich nach Olbersdorf zurückkam, freuten sich alle, daß ich jetzt gehen konnte.

In Olbersdorf wartete erneut großes Leid auf mich. Weil ich viel herumlaufen mußte, bekam ich über dem Knie des kranken Beines eine Muskelentzündung, die sehr schmerzte. Ich mußte wieder ins Bett, das ich unter großen Schmerzen zwei Wochen hüten mußte. Als alles wieder gut geworden war, kam ich nicht mehr an die Klosterpforte, sondern in die Nähstube, denn an der Pforte war schon eine Vertretung eingesetzt worden. In der Nähstube hatte ich viele Gelegenheiten, Opfer zu bringen, denn ich arbeitete mit Schwester Fabiola zusammen, welche sehr eifersüchtig und auch herrschsüchtig war. Trotzdem war dort das stille, verborgene Leben für mich eine Erholung. Das liebe Jesuskind verkehrte mit mir wie immer. Eines Tages fragte ich das Jesuskind, ob ich nicht auf dem Fußboden schlafen könnte, und ob ich mir einen Stein als Kopfkissen nehmen soll oder darf. Das Jesuskind schaute mich lächelnd an und sagte: "Tue das, meine Schwester!"

Weil ich in einem großen Schlafsaal mit 12 Betten schlief, mußte ich sehr vorsichtig sein, um von niemandem bemerkt zu werden. Ich tat alles, um verborgen zu bleiben. Es fiel mir auch nie ein, jemandem etwas über meinen Verkehr mit dem lieben Jesuskind zu sagen. Auch hatte ich es mir als Buße auferlegt, niemandem etwas zu erzählen, was ich für ein Geheimnis hielt. Auf dem Fußboden zu schlafen, fiel mir sehr schwer, denn ich wachte immer als erste vom Schlaf auf. Es war meist morgens gegen 4 Uhr, und ich war halb erfroren. Um halb fünf standen wir dann schon auf. Manchmal legte ich mich abends lieber ins Bett mit der Ausrede, daß ich ja noch lungenkrank sei. Als aber das liebe Jesuskind zu mir kam, um mir den Nachtsegen zu geben, ist es jedesmal traurig verschwunden, oder es legte sich weinend neben mein Bett auf den Fußboden, dort, wo ich eigentlich liegen sollte. So mußte ich mich zusammennehmen und, ob ich wollte oder nicht, mich auf den Fußboden legen. So, wie das liebe Jesuskind gut zu mir war, so war es auch streng.

Ich mußte sehr viele Opfer bringen, und ich ließ mir niemals ein Opfer entgehen, ohne es nicht gebracht zu haben. Es tut mir immer leid, wenn ich Menschen sehe, die die Chancen, Opfer zu bringen, an sich vorüber gehen lassen, ohne sie zu nutzen.

Ich wollte mein ganzes Leben Tränen der Reue weinen, wenn mir bewußt wäre, daß ich dem lieben Gott ein Opfer versagt hätte. Ach, wie glücklich war ich, wenn ich dem lieben Gott durch eine Selbstverleugnung eine Freude machen konnte. Wie viele gute Sachen, die ich hätte aufessen können, habe ich verschenkt oder ins Feuer geworfen, um dem lieben Gott die Glut meiner Liebe zu ihm zu beweisen. Alles tat ich im Verborgenen; niemand erfuhr etwas davon, nicht einmal mein Beichtvater.

Als wir Schwestern im Jahr 1940 einen Seelenführer bekamen, hatte dieser in manchen Vorträgen über das Blendwerk des Teufels gesprochen. Von da an wurde ich sehr unruhig, wagte aber nicht, mich auszusprechen. Eines Tages kam wieder unser Seelenführer ins Haus, und wir gingen alle zur heiligen Beichte. Nach meiner Beichte fragte er mich: "Schwester, beichten Sie immer so wie heute?" Ich antwortete ihm: "Ja, denn ich nehme jede heilige Beichte so an, als wäre es meine letzte." Der Seelenführer erklärte mir dann, daß er sich einmal persönlich mit mir im Sprechzimmer zu unterhalten wünsche. Er würde diesbezüglich selbst mit der ehrwürdigen Mutter sprechen. Ich erklärte mich damit einverstanden.

Ungefähr drei Wochen später ließ er mich ins Sprechzimmer rufen. Ich dachte mir nichts dabei und ging mit Erlaubnis der ehrwürdigen Mutter ins Sprechzimmer. Der Seelenführer gab mir zur Aufgabe, ihn als geistlichen Bruder anzunehmen, was für mich bedeutete, daß ich für ihn beten, arbeiten und opfern sollte. Ich versprach zu tun, was in meinen Kräften stand. Von da an hatte ich viele Zweifel, ob es richtig war, mich mit niemandem zu besprechen, besonders wegen der großen Bußwerke, die ich auf mich genommen hatte. Ich erkannte nämlich, daß ich zu weit gegangen war. Auch trug ich noch einen scharfen Bußgürtel und verrichtete noch viele andere Bußwerke. Ich tat es, um dem lieben Gott Freude zu machen und um dadurch Seelen für ihn zu gewinnen.

Eines Tages, als der Seelenführer wieder zu uns kam, um uns die heilige Beichte abzunehmen, fragte ich ihn, ob ich einige Bußwerke auf mich nehmen dürfte, und ich zählte ihm so einige auf. Er fragte mich: "Haben Sie diese Bußwerke schon auf sich genommen?" Ich antwortete: "Ja" – "Schwester", so erklärte er mir, "wenn Sie es nicht wären, ich würde es Ihnen nicht erlauben, doch weil Sie es sind, so dürfen Sie alles auf sich nehmen, was Ihnen der liebe Gott eingibt. Nur müssen Sie es mir immer sagen, wenn Sie eine neue Buße auf sich genommen haben. Von meinem Verkehr mit dem lieben Jesuskind habe ich mit diesem Seelenführer nie gesprochen. Ich hatte gar kein Bedürfnis, mit jemandem darüber zu sprechen.

 

Kriegsgeschehnisse

Es war gerade nach der Okkupation. Das liebe Jesuskind ließ sich nicht stören; es kam sehr oft. Wir durchlebten schwere Wochen und Monate während des Krieges. Es war schrecklich im Kloster zu leben, denn dort wie auch im Krankenhaus wimmelte es von SS-Männern und wir konnten an manchen Tagen nicht essen und schlafen vor lauter Angst, da die SS-Männer uns aus dem Hause vertreiben wollten. Ich selbst lebte allerdings sorglos, denn ich dachte immer: "Was kann uns geschehen, wenn das liebe Jesuskind unter uns wohnt?" Während die anderen Mitschwestern und selbst die lieben Vorgesetzten vor Angst zitterten, war ich ganz gelassen. Ich zog mir fleißig Blumen, setzte sie um und pflanzte mir neue für die Fenster, damit recht viele Blumen wuchsen.

Eines Tages ging ich in den Luftschutzkeller. Dort holte ich mir verschiedene Deckel und Büchsen als Untersetzer für die Blumentöpfe. Ich ging auch in den Luftschutzkeller, in dem die SS-Männer ihre Sachen hatten. Dort fand ich manches, was ich gebrauchen konnte. Ich ging von Keller zu Keller, öffnete alle Räume und schaute mir alles an. In einem Raum aber sah ich eine sehr große Bombe am Fenster stehen. Draußen im Garten war ein großes Loch ausgegraben. Der Spaten stand noch daneben. Vom Keller war nach außen hin in der Mauer ein Loch gebohrt, so groß, daß meine Faust leicht hindurchging. Als ich das sah, war ich doch etwas erschrocken, denn ich erinnerte mich sofort daran, daß man das Krankenhaus in die Luft sprengen wollte. Ich verließ den Keller und ging sofort zur ehrwürdigen Mutter und erzählte ihr, was ich gesehen hatte. Erregt sagte sie zu mir: "Kind, es ist uns doch nicht erlaubt, dort zu sein, wo Sie sich aufgehalten haben, und übrigens steht doch vor dem Soldaten-Luftschutzkeller Tag und Nacht immer eine Wache!" – "Ich bin durch die ganzen Kellerräume gegangen und habe niemanden gesehen", erwiderte ich, und weiter gab ich zu bedenken, daß man etwas tun müsse, um die Bombe unschädlich zu machen, da sonst das Krankenhaus in die Luft gesprengt würde und das Mutterhaus dazu. Die Ehrwürdige Mutter stand ratlos da. "Wir werden es Dr. Nahler sagen; er kennt sich gewiß aus, da er schon im ersten Weltkrieg gewesen ist", erklärte ich ihr.

Dr. Nahler war ebenfalls der Meinung, daß die Bombe unschädlich gemacht werden und verschwinden müsse. Unseren Krankenwärter, der sehr gut zu uns war und ebenfalls bereits den ersten Weltkrieg mitgemacht hatte, weihten wir ebenfalls ein, und so berieten wir gemeinsam, was getan werden konnte. Der Krankenwärter gab zu bedenken, daß man die Bombe unmöglich wegtragen könne, da der Luftschutzkeller Tag und Nacht bewacht würde. Ich entgegnete darauf, daß ich durch den ganzen Keller hindurch gegangen sei und niemanden dort gesehen hätte. So wollten wir die Sache am Abend in Angriff nehmen. Zur festgesetzten Zeit gingen Herr Dr. Nahler, welcher gleichzeitig auch unser Hausgeistlicher war, und unser Krankenwärter ans Werk. Kein Wachposten war zu sehen. Sie entschärften die Bombe, verpackten sie in einen großen Sack und versteckten diesen im Garten inmitten dichter Sträucher. In der Nacht standen sie dann auf und vergruben die Bombe tief. Niemand bemerkte etwas davon.

Am nächsten Tag jedoch, als die SS bemerkte, daß die Bombe weg war, liefen sie herum wie Teufel und hatten keinen blassen Schimmer, wer die Bombe entfernt haben könnte. Sie arbeiteten nun erneut daran, das Krankenhaus zu sprengen, doch es fehlte an Materialien. Der Keller war wiederum mit Wachposten umstellt.

Eines Tages sagte ich zu Schwester Benildis (sie ist heute schon tot, sie war meine Leidensgenossin): "Kommen Sie, wir werden im Krankenhausgarten spazieren gehen, was wir auch taten."

Das liebe Jesuskind war gleich bei mir und ging mit uns bis zu einem dichten Strauch. Wir waren beide stehengeblieben, schauten uns um und bewunderten die Schönheit der Natur Gottes, denn die Sträucher begannen zu keimen. Auf einmal sahen wir beide einen Draht auf der Erde zwischen den Sträuchern liegen. Er war ziemlich mit Blättern verdeckt, doch haben wir ihn beide gleichzeitig gesehen. Wie aus einem Munde sagten wir gemeinsam: "Hier ist ein Draht gezogen! Schauen wir doch einmal, wohin er führt." Wir zogen ein wenig an dem Draht, und da sahen wir, daß er in drei Richtungen führte. Der erste Draht führte zum Krankenhaus, der zweite zum Mutterhaus und der dritte zur Straße. Wir hatten auch beide eine Schere mit. Zum Glück war meine so stark, daß ich damit die Drähte durchschneiden konnte, und so schnitten wir alle drei Drähte durch. Dann gingen wir zur ehrwürdigen Mutter und erzählten ihr alles.

Das erste, was die Ehrwürdige Mutter fragte, war: "Kinder, wo war das denn?" Ich antwortete: "Im Krankenhausgarten. Wir sind dort spazieren gegangen und haben die Drähte gesehen und diese mit der Schere, die Sie mir gegeben haben, durchgeschnitten." Die Ehrwürdige Mutter entgegnete hierauf: "Es ist verboten worden, den Krankenhausgarten zu betreten. Hat euch jemand gesehen?" Wir antworteten: "Nein, niemand hat uns angehalten, und wir haben auch nirgends Soldaten gesehen." Darüber wunderte sich die Ehrwürdige Mutter sehr, denn das Krankenhaus war voll von SS-Männern.

Es kamen für das ganze Kloster furchtbare Tage. Die SS-Männer waren auf einmal verschwunden. Statt dessen kamen große Lastautos an, und bewaffnete Soldaten forderten die Ehrwürdige Mutter auf, das Haus zu verlassen und zu flüchten. Die Autos standen uns zur Verfügung. Die Ehrwürdige Mutter wollte schon den Schwestern den Befehl geben, ihre Sachen zu packen, als ich gerade hinzukam und sagte: "Ehrwürdige Mutter, die Soldaten wollen nur die Schwestern mitnehmen, welche unter 40 Jahre sind. Die anderen sollen hier zugrundegehen. Nur die jungen Schwestern wollen sie retten. Ich bin auch noch jung. Wenn die alten Schwestern hier umkommen sollen, so bleibe ich auch hier!" Als der Soldat noch sagte, daß das Krankenhaus gesprengt werden soll, gab ich zur Antwort: "Ich will hier mit den alten Schwestern umkommen und verlasse das Haus nicht!" Als meine Mitschwestern hörten, was ich dem Soldaten antwortete, stellten sie sich auf meine Seite und erklärten, daß auch sie alle hier umkommen wollten, und zwar mit den alten Schwestern. Der Soldat ging daraufhin ungehalten von dannen. Nach einer Weile kam er jedoch wieder und sagte uns, daß wir uns, wenn wir bleiben wollten, wenigstens in die äußerste Ecke verkriechen sollten, um unser Leben zu retten, denn heute um 15 Uhr würde das Krankenhaus in die Luft gesprengt, weil sie ein solches Haus den Russen nicht überlassen wollten. Das Haus war Eigentum der Schwestern, jedoch noch hoch verschuldet.

Wir versammelten uns nun tatsächlich in der äußersten Ecke, wir hatten nämlich in der Mauer der Backstube den Tabernakel. Dort bereiteten wir uns bei ausgesetztem Allerheiligsten auf den Tod vor. Es war 11 Uhr am Vormittag. Niemand dachte ans Essen. Wir beteten ohne Unterlaß. Das liebe Jesuskind kam nun öfters zu mir, da wir so vertrauensvoll, aber auch voller Angst waren. Es sagte immer wieder zu mir: "Fürchte Dich nicht, mir ist alle Gewalt gegeben!" Ich hatte keinen Grund, mich zu fürchten, denn die Worte des lieben Jesuskindes gaben mir Kraft, und ich war fest davon überzeugt, daß dem Krankenhaus und uns nichts geschehen würde. Ich war deswegen die einzige, die das Haus nicht verlassen wollte. Ich konnte mit meinem Geheimnis dennoch nicht herausrücken, sondern habe alle zum Gottvertrauen ermutigt. Dabei mußte ich mir allerdings viel gefallen lassen. Meine Mitschwestern beschimpften mich, daß ich mit meinen Prophezeiungen alle zugrundegehen lassen würde. Ich war bei all den Vorwürfen ruhig, denn ich hatte ja keinen Grund zu zweifeln.

Allen Schwestern war es furchtbar zumute. Auch meinen lieben Vorgesetzten, denn das konnte ich von ihren Gesichtern ablesen. Und doch konnte ich ihnen mein Geheimnis nicht offenbaren und sagen, daß das liebe Jesuskind gesagt hatte, daß ihm alle Gewalt gegeben ist. Wir beteten ohne Unterlaß in dem Luftschutzkeller. Auf einmal kam jemand hereingerannt mit dem Aufschrei: "Die Russen sind schon bei uns in der Küche!" Natürlich war von den deutschen Soldaten keine Spur mehr. Es war gegen 1 Uhr Mittag. Den Tag habe ich mir nicht gemerkt. Ich ging aus dem Luftschutzkeller heraus, um zu schauen, was wirklich los war. Das Krankenhaus stand da ganz ruhig, ohne daß irgendwo ein deutscher Soldat zu sehen war. Nur russische Soldaten gingen im Garten herum. Der ganze Nachmittag verging in Ruhe, so daß die Schwestern wieder ein wenig aufatmeten. Doch als es auf den Abend zuging, ging es wieder los. Aus den oberhalb gelegenen Wäldern flogen Geschosse von Maschinengewehren und Kanonen auf unser Haus zu. Normalerweise hätten alle unsere Häuser zerschossen sein müssen, denn es dauerte von 6 Uhr nachmittags bis 1 Uhr nachts. Die Kanonenkugeln flogen ohne Unterlaß über uns hinweg. Nun ängstigte ich mich allerdings auch, denn die Nacht war schauderhaft. Da kam das liebe Jesuskind wieder und fragte: "Meine Schwester, warum fürchtest Du Dich? Habe ich Dir nicht gesagt, daß mir alle Gewalt gegeben ist?" Ich schämte mich vor dem lieben Jesuskind und bat es um Verzeihung. Als das liebe Jesuskind wieder fort war, kam eine Schwester in den Luftschutzkeller hereingestürzt und rief: "Die ganze Stadt brennt! Es sieht fürchterlich aus!" Es war schon 1 Uhr nachts. Ich dachte fortwährend an die Worte des lieben Jesuskindes.

Die Kanonen hatten zu schießen aufgehört, und es war ruhiger geworden. Ich betete nun darum, daß sich das Feuer in der Stadt nicht ausbreiten möge, denn es war niemand mehr in der Stadt, der es löschen konnte, da die Bewohner alle geflüchtet waren. Kein Mensch war mehr in der Stadt, nur noch wir Schwestern. Immer noch beteten wir im Luftschutzkeller vor dem ausgesetzten Allerheiligsten.

Auf einmal wurde ich so müde, daß ich mich auf eine Bank legte, und nachdem die Ehrwürdige Mutter Luzilla mir einige Bücher unter den Kopf geschoben hatte, schlief ich ein.

Ganz unvermittelt aber begann es zu regnen, und zwar so heftig, daß das Feuer in der Stadt völlig verlöschte. Es war ein Regen ohne Gewitter. Nun war es ganz ruhig und finster in der Stadt geworden. Das Allerheiligste wurde eingesetzt, und wir gingen schlafen.

Am frühen Morgen wurden wir von den Geschützen der Russen geweckt. Es war jedoch ruhiger als zuvor. Nach zwei Tagen gingen einige der Vorgesetzten in die Stadt, um nachzuschauen, was geschehen war. Auch ich durfte in Begleitung einiger Schwestern in die Stadt gehen. Mit Entsetzen sah ich, daß die ganze Stadt umringt war von kleineren Bomben, die alle mit Drähten miteinander verbunden waren. Es schaute grauenvoll aus. An der Sprengstelle der Oppa-Brücke waren alle Häuser beschädigt. Auch die Kirchenfenster waren durch die Explosion herausgerissen. Wie aber hätte erst die Stadt Olbersdorf ausgesehen, wenn das geplante Werk gelungen wäre? Es war nicht auszudenken. Das Jesuskind hatte mich nicht enttäuscht!

Die Russen behandelten uns sehr anständig, denn das, was sie gestohlen hatten, brachten sie, nachdem sie wußten, daß wir da waren, alles wieder zurück. Erst als die Tschechen kamen, bestahlen uns diese unbarmherzig mit den Worten: "Germanen sollen hungernd zugrunde gehen!"

Noch schlimmer aber wurde es, als die Prager Borromäerinnen mit Hilfe der Mutter Bohumila Olbersdorf übernahmen. Mutter Bohumila war eine tschechische Schwester, die bei unseren deutschen Vorgesetzten und Mitschwestern großes Vertrauen genoß. In der Zeit der Verfolgung der Deutschen aber verriet sie die Kongregation der deutschen Borromäerinnen, die sie eigentlich hätte schützen sollen. Sie ließ nun noch Schwestern aus Prag kommen und forderte unsere deutschen Schwestern auf, nach Deutschland zu gehen. Die Prager Borromäerinnen wollten uns junge Schwestern wohl behalten und suchten uns für sich zu gewinnen. Lediglich die älteren Schwestern sollten nach Deutschland ausreisen.

Eine der Prager Borromäerinnen erzählte uns, daß sie jetzt im Krieg Partisanin gewesen sei. Den deutschen Soldaten hätte sie Quargel (Quark- bzw. Bauernkäse) oder sonstige Gegenstände in ihre Flinten gesteckt. Die Politik beherrschte sie weit besser als das Rosenkranzbeten. Mut fassend, entgegnete ich dieser Schwester: "Bitte erzählen Sie dies nicht unseren Schwestern, denn sonst verlieren Sie ihre ganze Achtung. Wir haben uns um einen guten Ordensgeist zu kümmern, die Politik ist nicht unsere Sache. Was Sie da erzählen, ist für uns nicht interessant."

Erstaunt hatte die Schwester zugehört, dann fragte sie mich nach meinem Namen. "Ich bin Schwester Maria Cornelia erklärte ich ihr." Sie gab mir zur Antwort: "Na, wenn Ihnen das nicht einmal schaden wird, was Sie mir da gesagt haben ...!" Diese Schwester aber fand bei uns keine Ruhe mehr, denn sie mußte erkennen, daß wir ihr alle aus dem Wege gingen. Enttäuscht fuhr sie wieder nach Prag.

Einige Tage später kamen wieder andere Schwestern, die das geplante Werk vollendeten, indem sie es schafften, daß die deutschen Schwestern ausgewiesen wurden. Es war Mutter Klementa, die dies in die Wege leitete und durchsetzte. Oft ging ich zu den Herren der Stadt, um sie zu bitten, die deutschen Schwestern nicht auszuweisen. Immer bekam ich zur Antwort, daß von ihnen aus die deutschen Schwestern das Land nicht verlassen müßten, denn die Schwestern würden für die Krankenpflege dringend benötigt. Nein, es seien unsere tschechischen Schwestern, die auf die Ausweisung drängen würden. So sei es nicht die Schuld der Regierung, wenn die Schwestern gehen müßten. Das liebe Jesuskind hat all dem sehr traurig zugesehen.

Im Jahre 1945 jedoch sagte mir das Jesuskind, daß es eine Sühnekongregation vom Heiligen Geiste haben wolle, welcher ich beitreten soll. Das Jesuskind sagte ausdrücklich: "Meine Schwester, sage es dem Pater Schwammel. Ich will eine neue Sühnekongregation! Und du, meine Schwester, sollst derselben beitreten!" Ich wußte nicht, wie ich diesen Pater erreichen konnte, da ich ihn nicht kannte. Ich glaubte wohl, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, und so fragte ich das liebe Jesuskind: "Wie soll ich ihm das sagen?" Da sagte das liebe Jesuskind: "Fürchte dich nicht, dafür werde ich sorgen." Dies war im Advent 1945.

Kurz vor Weihnachten desselben Jahres rief mich die Ehrwürdige Mutter Luzilla zu sich und sagte mir: "Schwester Cornelia, würden Sie bitte so gut sein und zur Aushilfe nach Witkowitz fahren?" Die Ehrwürdige Mutter bat mich darum, weil es in der Kongregation so üblich war, daß Befehle bittend ausgesprochen wurden. Jetzt wurde mir auch klar, wie das Jesuskind "dafür sorgen würde!" Auf meine Frage hin, wann ich fahren sollte, antwortete mir die Ehrwürdige Mutter: "Gleich nach Weihnachten, am Feste des heiligen Johannes."